Söldner des Geldes (German Edition)
Abgrund.
Fatima warf einen Blick auf Winter, der völlig gelassen wirkte. In der leisen Hoffnung, den Gang über die Brücke irgendwie umgehen zu können, bemerkte Fatima mit bewusst fester Stimme: «Das sieht ziemlich wackelig aus.»
«Keine Angst. Schon viele Wanderer haben diese Brücke überquert.» Winter lächelte ungerührt.
«Aber ich bin nicht schwindelfrei.»
«Ich auch nicht. Am besten denkst du einfach nicht darüber nach. Die Brücke ist so breit wie ein Gehsteig, und dort denkst du auch nicht ans Gehen.»
Das war einfacher gesagt als getan, denn die Hängebrücke schien ins Nichts zu führen.
Man hatte vier dicke Stahlseile über das Tal gespannt, zwei auf Fuss- und zwei auf Brusthöhe. Die beiden unteren Stahlseile waren durch Querstreben miteinander verknüpft. Darauf lagen nebeneinander, der Länge nach drei, etwa einen Fuss breite Bodenbretter. Durch die Spalten zwischen den Holzbrettern konnte man in die Tiefe sehen. Zwischen den seitlichen Tragseilen hatte man feinere Seile zu einem weitmaschigen Geländer gewoben.
Die Brücke schwang in der frischen Brise sanft hin und her. Fatima verdrängte den Gedanken an Sturmwinde, welche die Brücke hin und her schleuderten. Winter erklärte: «Einzig bei Unwettern muss man vorsichtig sein. Wenn die Brücke nass ist, funktioniert sie wie ein Blitzableiter, und bei einem Blitzschlag wird man gut durchgeschmort. Aber heute ist das Wetter ja gut.»
Er grinste.
Fatima lächelte gequält.
Winter zeigte zum Gletscher und dann in die Tiefe: «Die viel grössere Gefahr ist ein Gletscherabbruch. Das gäbe eine grosse Flutwelle, und der Damm könnte das Wasser nicht halten.»
Solche Überlegungen interessierten Fatima nicht. Sie ignorierte Winters Erklärungen und stählte sich mental für den Gang über den Abgrund: Zweihundert Meter waren in wenigen Minuten zu schaffen. Sie nahm sich vor, zügig zu gehen, sich an den seitlichen Seilen festzuhalten und nur geradeaus aufs Ziel zu schauen. Fokussiert, aber vorsichtig. Stolpern verboten. Zwischen den seitlichen Stahlseilen hatte es grosse Löcher. Fatima war sich sicher, dass sie durch ein solches Loch hindurchfallen konnte.
«Komm. In einer Stunde sind wir beim Gletscher. Soll ich vorausgehen?»
Fatima nickte, und Winter begann ohne zu zögern über die Brücke zu marschieren. Beim Betreten der Brücke merkte Fatima, dass die Hängebrücke nicht eben war. Zuerst ging es nach unten, um nach dem tiefsten Punkt wieder anzusteigen.
Winter hatte die Arme demonstrativ wie ein T ausgestreckt und einen ermunternden Blick über die Schulter geworfen. Fatima machte es ihm nach. Mit ihren Handflächen glitt sie den rauen, kalten Seilen entlang. Das beruhigte. Sie schob vorsichtig einen Fuss vor den anderen und stellte sicher, dass sie ihr Gewicht jederzeit auf zwei Bodenbretter verteilte. Sicher ist sicher.
Als die Brücke nach zwanzig Schritten noch hielt, wurde Fatima mutiger und folgte Winter zügig. Die Hängebrücke federte leicht. Die Spannung des Seils. Die horizontalen Schwingungen waren derart langsam, dass weder Fatima noch Winter sie richtig wahrnahmen. Das Adrenalin schoss durch Fatimas Körper. Sie begann das kleine Abenteuer zu geniessen. Die Aussicht war atemberaubend.
Entgegen ihrer guten Vorsätze wagte sie sogar einen Blick in die Tiefe. Aber als sie ganz weit unten die Strudel des Gletscherbaches sah, zog sich der Magen erneut zusammen, und sie konzentrierte sich ganz auf Winters Rucksack fünf Schritte vor ihr. Um das Auf und Ab besser abzufedern, hatte sie ihren Rhythmus demjenigen von Winter angepasst und ging im Gleichschritt mit ihm. Der Himmel war blau. Die Luft frisch. Es war wunderschön.
In der Mitte der Hängebrücke hielten sie an und bewunderten gemeinsam die Farbenpracht. Aus dieser Perspektive war das milchige Grün des Gletschersees noch intensiver. Sie standen ruhig nebeneinander. Die Brücke schaukelte. Weit oben kreiste ein Greifvogel und hielt Ausschau nach Murmeltieren. Ein Bussard, ein Milan oder gar ein Adler. Freiheit.
Plötzlich wurde die Ruhe gestört. Auf der anderen Seite betrat eine Gruppe Bergsteiger die Hängebrücke.
Die Brücke schwankte.
Sie mussten kreuzen.
Vorsichtig verlagerten Fatima und Winter ihren Stand auf eine Seite. Sie hielten sich mit beiden Händen an den Stahlseilen fest. Die Brücke kippte ein wenig auf die Seite. Unfreiwillig warfen sie einen Blick in die Tiefe.
Die Bergsteiger, alles Männer um die vierzig mit karierten Hemden, schweren
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