Soko Mosel
in der dritten Pension fand er ein Zimmer. Es war klein, aber freundlich möbliert. Aus dem Fenster blickte er auf ein schmales Gärtchen, in dem Dutzende von gelben Tulpen blühten. Lorenz deponierte seine Reisetasche neben dem Schrank und verließ das Haus. Er schlenderte in den Ort. Die Radfahrer hatten Mützen übergezogen. Auch die Leute auf den Gehwegen waren dick eingemummt.
Lorenz fand den Coffeeshop in einer Seitenstraße. Er hatte befürchtet, der könnte inzwischen geschlossen sein. Als er eintrat und die große Schiefertafel hinter der Theke sah, wußte er, dass hier noch alles beim alten geblieben war. In sauberer Schrift standen die aktuellen Preise der verschiedenen Haschisch- und Grassorten aufgelistet.
Das Lokal war nur spärlich besucht. Lorenz setzte sich an einen Zweiertisch. Laute Musik dröhnte direkt über ihm aus einer riesigen Box. Ein kaum 18-jähriger Junge mit einer in grellen Farben gestreiften Wollmütze brachte ihm einen Kaffee.
Lorenz schien von niemandem beachtet zu werden, dennoch hatte er das Gefühl, nicht hierher zu gehören. Als der Junge die Tasse abräumte, gab Lorenz sich einen Ruck und bestellte mit dem zweiten Kaffee fünf Gramm grünen Marokkaner.
Wie ein Stück Gebäck zum Kaffee wurde das Haschisch auf der Untertasse serviert. Lorenz wurde etwas lockerer und fragte die Bedienung: »Kann ich auch was anderes haben?«
»Was willst du?«
Lorenz sagte: »Koks oder so.«
Die Musik war laut. Der Junge verstand ihn nicht. Er beugte sich herunter: »Was willst du?«
Lorenz schrie: »Koks oder so.«
In diesem Moment setzte die Musik aus. Lorenz schaute sich beschämt um.
»Versuch es nach elf, dann kommt der Hausdealer.«
Lorenz zahlte. Er ließ den Riegel liegen, bis er den Kaffee ausgetrunken hatte. Dann zog er seine Jacke an und steckte ihn so beiläufig ein, als wäre es ein übrig gebliebenes Stück Zucker. In der Tür des Coffeeshops schlug er den Kragen seiner Jacke hoch.
Was bedeutete Hausdealer? War das so was Ähnliches wie ein Hauslieferant für Getränke – nur in diesem Falle für Drogen? Lorenz fühlte sich seltsam. Seine rechte Hand umklammerte das in Alufolie gewickelte Stück Haschisch. In seinen knapp 50 Lebensjahren hatte er nie auch nur ein Gramm illegaler Drogen besessen.
Was hatte er alles schon in seinen Taschen mit sich herumgeschleppt: Revolver, Pistolen, Munition, sogar eine Übungsgranate war mal darin. Isabelle hatte sie nach einem wüsten Saufgelage gefunden.
Er war noch nie ohne Isabelle in Holland gewesen. Zuletzt hatten sie den Urlaub abbrechen und früher nach Hause fahren müssen. Da war sie schon krank. Das Reizklima tat ihren kranken Lungen nicht gut.
*
Der rotbraun gepflasterte Weg unter seinen Schuhen wurde immer sandiger. Dünen tauchten auf. Es roch nach Abend. Isabelle wußte jede Tageszeit am Geruch des Meeres zu unterscheiden. Sie stammte aus der Nähe von Hamburg und hatte die Nordsee von Kindesbeinen an geliebt. Der Pfad mündete in einen Knüppeldamm, der die Dünen durchschnitt. Seine Schritte klangen hohl auf den von der Sonne gebleichten Holzbrettern. Mit einemmal lag das Meer mit seiner unendlichen Weite vor ihm. Lorenz stapfte durch den tiefen Sand des Strandes direkt auf das Wasser zu. Es war Ebbe. Der breite Tangstreifen auf dem festeren Sand zeigte an, wie hoch das Wasser bei Flut kommen konnte. Als die Gischt um seine Schuhe spielte, drückte er das Foto in der Innentasche seiner Jacke fest gegen seine Brust.
»Isabelle, hilf mir!«, murmelte er.
Er schleuderte das Stück Haschisch weit in die heranrollenden Wellen.
Er wußte, dass Isabelle oft bei ihm war und ihm beistand, aber seine Einsamkeit tat manchmal so entsetzlich weh, dass Isabelle ihn nicht mehr auffangen konnte.
Er hatte keine Medikamente mitgenommen, jetzt verließ ihn der Mut, der ihm vor der Reise wieder so gewachsen schien.
Er ging gegen den Wind den Strand entlang. Bald war nur noch das Rauschen von Wasser und Wind in seinem Kopf.
Gegen elf kehrte Lorenz zum Coffeeshop zurück. Im Eingang beschlugen seine Brillengläser. Das Lokal war brechend voll. Er stellte sich in zweiter Reihe an die Theke. Der Junge mit der bunten Wollmütze hatte alle Hände voll zu tun. Die Musik schallte lauter und mit noch mehr Intensität als vorhin. Die Gäste redeten dagegen an. Es roch unverkennbar nach den Waren, die auf der Schiefertafel angepriesen wurden.
Lorenz bestellte ein Bier. Der Zapfer wischte den Schaum mit einem Holzschaber ab und stellte ein
Weitere Kostenlose Bücher