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Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Solang die Welt noch schläft (German Edition)

Titel: Solang die Welt noch schläft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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die sie an Frieda geschrieben hatte, hatte sie kein Wort über das Velofahren verlauten lassen – es hätte einfach zu weh getan. Woher sollte die alte Frau also wissen, dass ihre Sehnsucht danach stärker war denn je?
    Flehentlich hatte Jo in ihrem letzten Brief um ein paar Andeutungen mehr gebeten. Eine Antwort hatte sie nicht bekommen. Wahrscheinlich wollte Frieda ihr die »meisterhaften Neuigkeiten« von Angesicht zu Angesicht mitteilen und sich dabei an ihrer Freude ergötzen. Ein aufgeregtes Grummeln rumorte in Jos Magen. Um sich abzulenken, schaute sie auf die vorbeiziehende Stadt, die in schönstes Sonnenlicht getaucht war. Alles sah so anders aus …
    Überall wurden neue Gebäude in die Höhe gezogen, aber auch unterirdisch schien die Stadt zu wachsen: Ganze Straßen waren aufgerissen wie aufgeschlitzte Fische, die zum Ausweiden bereitlagen. Sandberge türmten sich am Straßenrand, riesige Rohre wurden von unzähligen Arbeitern in die Erde versenkt. Fahrräder sah sie in dem Durcheinander nur wenige – wo hätten sie bei all den Kanalisationsarbeiten auch entlangfahren sollen? Dafür mühten sich umso mehr Passanten zu Fuß, um in die vielen Geschäfte zu gelangen: Warenhäuser, Modehäuser, Eisenwarenhandlungen und vieles mehr – Berlin hatte sich in den letzten drei Jahren wirklich sehr verändert, staunte Josefine. Und allem Anschein nach war es kein Wandel zum Schlechten. Eine tröstliche Feststellung. Ob das auch für ihr Leben gelten würde? Jo spürte endlich ein kleines Pflänzchen Vorfreude in sich wachsen. Berlin und ein neues Leben warteten auf sie.
    Das Gartentor war angelehnt, die Fensterläden standen offen. Auf den ersten Blick wirkte Friedas Haus wie immer.
    »Frieda? Bist du im Garten?« Statt anzuklopfen, ging Josefine mit pochendem Herzen ums Haus. Bei diesen angenehmen Temperaturen war die alte Freundin bestimmt bei ihren Frühbeeten. Die ersten zarten Blättchen vom Rapunzelsalat zu ernten – daraus machte Frieda immer ein Fest. Zum Salat, fein angemacht mit Weißweinessig und Öl, briet sie ein paar Wachteleier mit Speck, dazu trank sie einen Wein, der grünlich im Glas schimmerte. Zumindest war dies in früheren Jahren so gewesen.
    Josefines Magen knurrte. Obwohl es noch nicht ganz Mittag war, verspürte sie großen Hunger. Das erste Essen in Freiheit … Es mussten keine Wachteleier sein, eine Stulle würde es auch tun.
    Doch der Garten lag einsam und unberührt da. Die Beete waren mit Tannenzweigen abgedeckt, nirgendwo lugte das helle Grün vom Frühsalat hervor.
    »Frieda?« Mit wenigen Schritten war Jo an der Tür, aber auf ihr Klopfen hin tat sich auch im Haus nichts. Stirnrunzelnd blieb sie noch einen Moment lang stehen, dann trat sie an eins der Fenster. Die gute Stube lag im Dunkeln. Wahrscheinlich war Frieda einkaufen! Sie wusste schließlich, dass sie, Josefine, heute kommen würde. Bestimmt wollte Frieda sie mit einem besonders guten Mahl erfreuen, dabei war das doch gar nicht nötig. Lange würde die alte Freundin jedenfalls bestimmt nicht wegbleiben.
    Jo stellte ihre Tasche in dem kleinen Verschlag ab, in dem Frieda ihre Gartengeräte aufbewahrte, dann trat sie wieder auf die Görlitzer Straße hinaus.
    Das Kaufhaus Reutter, die Seilerei, die Apotheke. Alles war noch genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Zaghaften Schrittes lief Jo die Straße entlang. Tief in sich verspürte sie das Bedürfnis, laut »Ich bin wieder da!« zu schreien. Gleichzeitig jedoch hätte sie sich am liebsten unsichtbar gemacht. Wie würden die alten Nachbarn sie aufnehmen? Würden sie ihr mit Ablehnung begegnen? Schließlich war sie nun »eine aus dem Frauengefängnis«. Josefine war froh, dass ihr auf dem engen Gehsteig niemand entgegenkam.
    Schon von weitem hörte sie den monotonen Schlag des Schmiedehammers. Jo spürte, wie sich in ihrem Hals ein Kloß bildete. Dicht an eine Hauswand gelehnt blieb sie stehen. Das große Tor zur Hufschmiede stand sperrangelweit offen, in der Mitte der Scheune tänzelte ein großer Brauner, der von einem mageren Burschen mehr schlecht als recht beruhigt wurde, während ihr Vater ein Eisen ins Feuer hielt. Rechts vom Tor war ein zweiter Gaul, ein Rappe, angebunden. Er hob seinen Schweif und ließ gemächlich einen Haufen Pferdeäpfel fallen. Der altbekannte Geruch schnürte Jos Kehle noch weiter zu.
    Es war keine Sentimentalität, die sie hierherführte. Nicht einmal Heimweh, sagte sie sich, während sie aus sicherer Distanz auf ihr Elternhaus

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