Solange am Himmel Sterne stehen
hast.«
»Nein«, sagte Rose nur. Aber was sie eigentlich sagen wollte, war, dass sie ihn nie abgewiesen hatte, weil sie ihn von Anfang an nie wirklich an sich herangelassen hatte. Sie war eine Burg, die von vielen Schutzwällen umgeben war. Ted hatte es nur bis zu der grasigen Anhöhe hinter dem ersten Burggraben geschafft; es gab noch viele weitere Mauern zu überwinden und viele Kämpfe auszutragen, um ihr Herz zu erreichen. Aber das wusste Ted nicht. Es war besser so.
Sie sahen beide durchs Fenster zu, wie Hope vom Garten, wo sie am Rand der Dünen im Sand gespielt hatte, aufs Haus zukam. Rose hatte sie im Auge behalten – sie war erst fünf – und gehofft, sie würde so lange außer Hörweite bleiben, bis ihre Mutter den Streit mit dem neuesten Mann, den sie in Hopes Leben gebracht hatte, beendet hatte.
»Ich werde sie beschäftigen«, sagte Ted und erhob sich.
»Nein«, sagte Rose. »Ich gehe schon.« Sie küsste Ted auf die Wange und wandte sich zur Tür. Hope drehte sich um, und ihre Augen leuchteten auf, als ihre Großmutter auf die Veranda hinter dem Haus trat. Im ersten Augenblick war Rose zu überwältigt, um zu sprechen. Hope sah Danielle so verblüffend ähnlich, wie diese vor so vielen Jahren ausgesehen hatte, und manchmal fiel es Rose schwer, sie anzuschauen, ohne die Vergangenheit, ohne ihre kleine Schwester zu sehen, deren Schicksal sie sich nicht wirklich vorzustellen vermochte.
»Mamie!«, rief Hope aufgeregt. Ihre braunen Locken, fast wie die fließenden Locken, die Rose selbst in ihrer Jugend gehabt hatte, tänzelten in der Meeresbrise, und ihre ungewöhnlich grünen Augen – in der Farbe des Meeres und golden gesprenkelt – glänzten vor Aufregung. »Ich habe einen Krebs gefangen, Mamie! Einen großen! Er hatte Zangen und alles!«
»Einen Krebs?« Rose sah lächelnd auf ihre Enkelin hinunter. »Du liebe Güte! Was hast du damit gemacht?«
Hope grinste blinzelnd zu ihrer Großmutter hoch. »Mamie, ich habe ihn wieder laufen lassen. Genau, wie du es mir gesagt hast.«
»Habe ich dir das gesagt?«
Hope nickte nur einmal kurz, voller Überzeugung. »Du hast mir gesagt, nie irgendetwas oder jemandem ein Leid zuzufügen, wenn ich es vermeiden kann. Und der Krebs ist jemand.«
Rose lächelte. Sie beugte sich hinunter, um Hope zu umarmen. »Du hast das Richtige getan, Liebes«, sagte sie. Drinnen konnte sie die Stimmen von Josephine und ihrem Freund hören, die sich immer lauter anschrien. Sie räusperte sich, in der Hoffnung, den Krach damit zu übertönen. »Lass uns noch eine Weile hier draußen bleiben«, sagte sie zu ihrer Enkelin. »Was hältst du davon, wenn ich dir eine Geschichte erzähle?«
Hope grinste und hüpfte eine Minute lang auf und ab. »Ich liebe deine Geschichten, Mamie! Kannst du mir die von dem Prinzen erzählen, der der Prinzessin beibringt, tapfer zu sein?«
»Aber natürlich, Liebes.« Rose setzte sich auf einen Liegestuhl, mit Blick aufs Meer, und Hope kletterte auf ihren Schoß, schlang ihre sonnengebräunten Beine seitlich über den Stuhl und kuschelte sich an Roses Brust. Bald würde sie zu groß dafür sein. Rose wünschte, diese Augenblicke würden nie vergehen, denn solange sie ihre Enkelin auf ihrem Schoß halten und ihr Geschichten erzählen konnte, konnte sie sie beschützen und behüten.
»Es waren einmal vor langer Zeit in einem fernen Land ein Prinz und eine Prinzessin, die sich ineinander verliebten«, begann sie. Während sich ihre Lippen zu den vertrauten Worten bewegten, wurde ihr schwer ums Herz, und der Schmerz drohte sie zu überwältigen. Das, wusste sie, war der Grund, weshalb sie getan hatte, was sie getan hatte. Das war der Grund, weshalb sie weggelaufen war, weshalb sie aus Paris geflohen war, weshalb sie allem den Rücken gekehrt hatte. Dieses kleine Mädchen in ihren Armen wäre jetzt nicht hier, wenn Rose geblieben wäre und sich in ihr Schicksal ergeben hätte. Und daher wusste sie, dass sie das Richtige getan hatte. Es war eben so, dass es im Leben keine sauberen Entscheidungen gab. Jedenfalls nicht die großen. Um erst Josephine und dann Hope das Leben zu schenken, hatte sie andere Leben im Tausch hergeben müssen. Für einen solchen Handel gab es keine Rechtfertigung, überhaupt keine.
»Erzähl weiter, Mamie, erzähl weiter!«, bettelte Hope und hüpfte auf dem Schoß ihrer Großmutter auf und ab, als Rose in der vertrauten Geschichte kurz innehielt.
Rose strich ihrer Enkelin übers Haar und lächelte auf sie hinunter. »Nun,
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