Solange am Himmel Sterne stehen
dass Mrs Koontz, Mrs Sullivan und all die anderen Frauen in der Stadt sie damals mit offenen Armen empfangen haben. Ich verspüre ihretwegen einen traurigen Stich.
Ich schaue wieder auf meine Armbanduhr. »Annie, sieh zu, dass du dich aufmachst. Du kommst noch zu spät zur Schule.«
Ihre Augen verengen sich, und das flüchtige Bild der alten Annie ist verschwunden; jetzt hasst sie mich wieder.
»Du hast mir gar nichts zu sagen«, murmelt sie.
»Junge Dame«, sagt Mrs Koontz, wobei sie mir einen raschen Blick zuwirft, »das hat sie durchaus. Sie ist deine Mutter, daher hat sie dir etwas zu sagen, und zwar mindestens, bis du achtzehn bist.«
»Egal«, sagt Annie fast unhörbar. Sie steht vom Tisch auf und stapft in die Backstube. Einen Augenblick später kommt sie mit ihrem Rucksack wieder zum Vorschein.
»Danke«, sagt sie auf dem Weg zur Tür zu Mrs Koontz und Mrs Sullivan. »Ich meine, danke, dass Sie mir von meiner Uroma erzählt haben.« Sie würdigt mich keines Blickes, als sie durch die Ladentür auf die Main Street hinausgeht.
Gavin kommt vorbei, als ich die Bäckerei eben schließe, um mir die Ersatzschlüssel zu bringen, die ich ihm vor zwei Tagen gegeben habe. Er trägt dieselbe Jeans mit dem Loch im Oberschenkel, das ein klein wenig größer geworden zu sein scheint, seit ich ihn zuletzt gesehen habe.
»Dein Rohr ist repariert«, sagt er, während ich ihm den letzten Rest Kaffee dieses Nachmittags einschenke. »Die Spülmaschine läuft wieder so gut wie neu.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.«
Gavin lächelt. »Klar weißt du das. Du kennst doch meine Schwächen. Sterntörtchen. Zimtstrudel. Abgestandener Kaffee.« Er blickt in seine Kaffeetasse und zieht eine Augenbraue hoch, nimmt aber trotzdem einen Schluck.
Ich lache trotz meiner Verlegenheit. »Ich weiß, ich sollte dich mit etwas anderem als Backwaren bezahlen, Gavin. Es tut mir leid.«
Er sieht auf. »Dir muss gar nichts leidtun«, sagt er. »Du unterschätzt ganz offensichtlich meine Sucht nach deinen Backkünsten.«
Ich werfe ihm einen Blick zu, und er lacht. »Im Ernst, Hope, es ist schon gut. Du tust dein Bestes.«
Ich seufze, während ich das letzte der übrig gebliebenen Mandel-Rosen-Törtchen dieses Tages in eine flache Tupperdose lege, um sie über Nacht einzufrieren. »Mein Bestes ist offenbar nicht gut genug«, murmele ich. Matt hat mir am Morgen einen Stapel Unterlagen mitgebracht, und ich habe noch nicht einmal angefangen, sie zu lesen, obwohl ich weiß, dass ich es tun muss. Mir graut davor.
»Du machst dich viel zu klein«, sagt Gavin. Bevor ich etwas erwidern kann, fügt er hinzu: »Es heißt, Matt Hines ist in letzter Zeit öfter hier.« Er nimmt noch einen Schluck Kaffee.
Ich sehe von den Gebäckstücken auf, die ich wegräume. »Das ist rein geschäftlich«, sage ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, warum ich das Gefühl habe, mich erklären zu müssen.
»Hmm«, ist alles, was Gavin dazu sagt.
»Wir sind auf der Highschool miteinander gegangen«, füge ich hinzu. Gavin ist an der Nordküste von Boston aufgewachsen und hat mir alles über seine Highschool in Peabody an einem unserer Nachmittage auf der Veranda erzählt, daher gehe ich davon aus, dass er von meiner Vergangenheit mit Matt nichts weiß.
Ich bin verblüfft, als er sagt: »Ich weiß. Aber das ist lange her.«
Ich nicke. »Das ist lange her«, wiederhole ich.
»Wie kommt Annie klar?«, wechselt Gavin wieder das Thema. »Mit dem Zeug zwischen dir und deinem Ex und allem?«
Ich sehe zu ihm auf. Niemand hat mich das in letzter Zeit gefragt, und ich wundere mich, wie dankbar ich ihm dafür bin. »Es geht ihr gut«, sage ich. Ich halte kurz inne und korrigiere mich dann. »Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum ich das eben gesagt habe. Es geht ihr nicht gut. In letzter Zeit scheint sie nur noch wütend zu sein, und ich weiß nicht, was ich dagegen tun soll. Es ist, als wüsste ich, dass die echte Annie irgendwo da drinnen ist, aber im Augenblick will sie mir einfach nur wehtun.«
Ich weiß nicht, warum ich mich ihm anvertraue, aber als Gavin langsam nickt, liegt nicht eine Spur von Verurteilung in seinem Gesichtsausdruck, und auch dafür bin ich ihm dankbar. Ich beginne die Theke mit einem feuchten Lappen abzuwischen.
»Es ist nicht leicht in dem Alter«, sagt er. »Ich war selbst nur ein paar Jahre älter als sie, als meine Eltern sich scheiden ließen. Sie ist durcheinander, Hope. Sie wird da schon wieder
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