Solange am Himmel Sterne stehen
auf demselben topasblauen Fluss langsam hinunter in die unbesetzte Zone schlängelte. Ist sie so aus Paris herausgekommen? Ich frage mich, ob wir es je wirklich wissen werden.
»Was, meinst du, ist aus dem Baby geworden, das sie erwartet hat?«, fragt Alain mich leise, während wir immer höher in den Himmel aufsteigen. Jetzt sind wir schon über den Wolken, Sonnenlicht flutet rings um uns herunter, und ich frage mich unwillkürlich, ob es im Himmel vielleicht ein bisschen so aussieht wie hier.
Ich schüttele den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»Ich hätte mir denken müssen, dass sie ein Kind erwartete«, sagt Alain. »Das erklärt, warum sie uns verlassen hat. Das war mir immer unbegreiflich. Es wäre nicht ihre Art gewesen, wegzulaufen und uns zurückzulassen. Sie wäre geblieben, um zu versuchen, uns zu überreden, uns zu beschützen, selbst wenn sie damit ihr eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hätte.«
»Aber sie hielt es für wichtiger, das Baby zu beschützen«, murmele ich.
Alain nickt. »Und das war es ja auch. Sie hatte recht. Das bedeutet es schließlich, Eltern zu sein, oder? Ich glaube, bei meinen Eltern war es genau dasselbe. Sie glaubten wirklich, indem sie sich an die Vorschriften hielten, würden sie uns alle beschützen. Wer hätte wissen können, dass ihre besten Absichten dorthin führten, wohin sie führten?«
Ich schüttele den Kopf, zu bedrückt, um etwas zu sagen. Ich kann mir das Entsetzen nicht vorstellen, das meine Urgroßmutter empfunden haben muss, als Danielle und David ihr entrissen wurden. Hatte sie bei der Ältesten, Hélène, bleiben können, nachdem man die Männer und Frauen voneinander getrennt hatte? Hatte sie lange genug gelebt, um schmerzlich zu begreifen, dass all ihre Kinder verloren waren? Hatte mein Urgroßvater es bereut, nicht auf die warnenden Worte seiner Tochter gehört zu haben? Wie fühlt man sich als Elternteil, wenn man zu spät begreift, dass man einen entsetzlichen, unumkehrbaren Fehler begangen hat und die eigenen Kinder deswegen sterben müssen?
Ich starre lange Zeit aus dem Fenster, bevor ich mich wieder zu Alain umwende. »Vielleicht konnte Mamie nicht für das Kind sorgen. Vielleicht wurde das Baby geboren, und sie hat es zur Adoption freigegeben.« Ich glaube es nicht wirklich, aber ich fühle mich besser, wenn ich es laut ausspreche.
»Das halte ich für ausgeschlossen.« Alain legt die Stirn in Falten. »Wenn das Baby ein Teil von ihr und Jacob war, dann kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie sich von diesem Kind getrennt hätte.« Er sieht mich von der Seite an, bevor er hinzufügt: »Bist du dir absolut sicher, dass das Baby auf keinen Fall deine Mutter sein kann?«
Ich schüttele den Kopf. »Als meine Mutter vor ein paar Jahren starb, musste ich ihren Nachlass ordnen«, sage ich. »Ich kann mich erinnern, dass ich mir ihre Geburtsurkunde angesehen habe. Dort stand eindeutig 1944. Außerdem sah sie meinem Großvater sehr ähnlich.«
Alain seufzt. »Dann muss das Baby gestorben sein.«
Ich wende den Blick ab. Ich kann mir nichts Traurigeres vorstellen. »Aber dass sie so bald wieder schwanger geworden sein sollte, nachdem …« Meine Stimme verliert sich. Dieses Teil des Puzzles kann ich einfach nicht begreifen.
»Es ist nicht so ungewöhnlich, wie es klingt«, sagt Alain leise. Er seufzt wieder und sieht aus dem Fenster. »Nach dem Krieg haben viele Schoah-Überlebende sofort geheiratet und versucht, Kinder zu bekommen, selbst diejenigen, die unter Mangelernährung litten und kein Geld hatten.«
Ich sehe Alain verdutzt an. »Aber warum hätten sie das tun sollen?«
»Um Leben in die Welt zu setzen, während es um sie herum nur Tod gab«, sagt er schlicht. »Um wieder Teil einer Familie zu sein, nachdem sie alle verloren hatten, die sie je geliebt hatten. Als Rose deinen Großvater kennenlernte, muss sie gedacht haben, dass wir alle, einschließlich Jacob, tot sind, und wenn sie auch noch das Baby verloren hatte, muss sie sich sehr, sehr einsam gefühlt haben. Vielleicht wollte sie einfach eine Familie gründen, um wieder einen Platz in der Welt zu haben.«
Wir brauchen eine Ewigkeit, um unser Gepäck zu bekommen, durch den Zoll zu gehen und meinen Wagen aus dem Parkhaus zu holen, aber schließlich sind wir unterwegs zum Cape. Wir haben Boston kurz vor der Rushhour hinter uns, und als wir auf der Route 3 in Richtung Süden schießen, gehe ich aufs Ganze und fädele mich mit zwanzig Meilen über dem Tempolimit durch den
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