Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Solar

Solar

Titel: Solar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
Vom Netzwerk:
prägnante Gleichung gemeißelt war - iy.drp = mip -, hatte Beard zum letzten Mal die alte Erregung gespürt. Jetzt war nichts mehr davon übrig.
    Zum Haus hin befand sich eine betonierte Fläche, auf der neben einer rostigen Wäschespinne Teile eines Kühlschranks und ein Stapel weißer Plastikmöbel lagerten, und gleich daneben stand ein etwa zweieinhalb mal zweieinhalb Meter großer Holzkasten mit einem Vorhängeschloss am Deckel, auf dem ein zusammengerollter schwarzer Gartenschlauch lag. Erleichtert stellte er fest, dass dieser Zuber kein bisschen an den kalifornischen Traum erinnerte, von dem er unbewusst ausgegangen war - keine Mammutbäume, keine Zikaden, keine Sierra Nevada. Als er zu der Nebentür zurückging, war er dennoch verzweifelt, denn eins war jetzt erwiesen: Es ging ihr nur um Sex. Was sonst hätte sie an einen so schäbigen Ort locken können? Aber war Verzweiflung nicht genau das, was er in seinem Zustand suchte?
    In diesem Moment hörte er über sich ein Geräusch, und als er hochblickte, schwang in der ersten Etage ein beschlagenes Fenster auf, und dann erschien Rodney Tarpins nasses rosa Gesicht.
    »Oi!«
    Das Gesicht verschwand wieder, aber das Fenster blieb auf, und aus der Dusche quoll Dampf ins Freie, während aus dem Inneren des Hauses das gedämpfte Tappen nackter Füße drang, die eine mit Teppich belegte Treppe hinunterrannten. Beard wartete mit verschränkten Armen am Seiteneingang, er hatte keinen Plan, keine Ahnung, was er sagen wollte. Er hatte zu lange gegrübelt, zu lange gewartet, jetzt musste irgendetwas geschehen. Was, spielte fast keine Rolle.
    Zwei Riegel wurden zurückgezogen, die Aluklinke klappte abwärts, die Tür flog nach innen auf, und vor ihm auf der Schwelle stand der Liebhaber seiner Frau.
    Beard fand es wichtig, als Erster etwas zu sagen. »Mr Tarpin. Guten Morgen.«
    »Was zum Teufel haben Sie hier zu suchen?« Die Betonung in dieser Frage lag auf dem »Sie«. Er trug ein nicht sehr großes rotes Handtuch, das er um seine beträchtliche Taille festgestopft hatte. Wassertropfen rieselten ihm vom Kopf auf die Schultern und mäanderten mit den Zickzackbewegungen einer Flipperkugel durch seine Brustbehaarung.
    »Ich dachte, ich seh mir das hier mal an.«
    »Ach ja? Und da kommen Sie einfach hier rein.«
    »Tut meine Frau auch.«
    Diese umstandslose Klarstellung schien Tarpin aus der Fassung zu bringen, als hielte er sie für unfair oder als ginge sie ihm zu weit. Noch immer ein wenig dampfend, trat er auf den Pfad hinaus; die Kälte - zwei Grad laut Digitalanzeige im Auto - störte ihn offenbar nicht. Beard stand zwei, drei Meter entfernt, noch immer mit verschränkten Armen, eins siebenundsechzig groß in seinen Stiefeln, und wich nicht von der Stelle, als Tarpin sich unmittelbar vor ihm aufbaute. Selbst barfuß war er ein mächtiger Brocken, mit massivem Oberkörper und dünnen Beinen - eine typische Arbeiterfigur; die Brust sah recht schwammig aus, mehr Fett als Muskeln, und der mit Bier und Junkfood gemästete Bauch hatte einen viel größeren Umfang als seiner. Das Handtuch hing am seidenen Faden. Was wollte Patrice von so einem Mann, es sei denn, sie suchte auch bei ihm die Vollkommenheit, die Idealgestalt ihres Gatten? Tarpins Gesicht war sehenswert. Es hatte etwas von einer Ratte, nicht ganz ohne Charme, aber zu klein für den Kopf: stopplig, die neugierigen Züge eines kleinen Mannes in eine Fläche eingelassen, die sie nicht ausfüllen konnten. Tarpin spähte aus seinem Schädel heraus, als trüge er einen übergroßen Tschador. Seit Beard ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte Tarpin einen Zahn verloren, einen oberen Schneidezahn. Enttäuscht war Beard vom Fehlen jeglicher Tätowierungen: keine Schlange, kein Motorrad, kein Loblied auf die Mama. Doch Beard war ein alternder, in Klischees befangener Bourgeois, wie er sich vage eingestand. Für Piercings war Tarpin zu alt, jedoch ragte aus dem Grat seiner Schulter ein zentimeterlanges Hautläppchen, ein krummes Anhängsel, ähnlich einem winzigen Ohr oder einem noch winzigeren Papagei auf der Schulter eines Seemanns. Ein Stück Zahnseide fest darum gewickelt, und nach einer Woche würde es abfallen, aber vielleicht rührte Frauen ein solcher Makel, etwas so Verletzliches an einem so großen Mann, der einen Betrieb mit drei Angestellten besaß. Bestimmt hatte Patrice die niedlichen Falten mit der Zunge erforscht.
    »Was ich mit Ihrer Frau mache, geht nur mich was an«, sagte Tarpin und lachte hämisch. »Und

Weitere Kostenlose Bücher