Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
ab. Dann füllt sich sein Schirm wieder mit Luft, bläht sich auf und nimmt nun der Schirmkappe über sich den nötigen Auftrieb. Das böse Spiel wiederholt sich, bis beide Springer erheblich zu schnell auf die Erde krachen. Fahrstuhl fahren wird dieses Phänomen genannt. Ich bin nicht erpicht darauf, wie ein Kühlschrank auf den Boden zu schlagen, und reiße mit aller Kraft an den Fangleinen meines Schirms, um den Kerl loszuwerden. Ein lächerlicher Versuch. Die Kräfte, die auf uns wirken, sind wesentlich stärker. Zumindest bleiben die Schirme halbwegs geöffnet, da wir aneinander festhängen, aber sie haben sich schräg zueinander gestellt, wodurch wir der Erde schneller nahe kommen, als uns lieb sein kann. Panisch schreit der Trottel: »Das schaffen wir nicht! Wir stürzen ab!« Tatsächlich kommen schon etliche Personen auf unsere ungefähre Landezone zugelaufen und durch ein Megafon wird uns gesagt, dass wir uns auf die Landung vorbereiten sollen. Die plastische Darstellung unseres Ausbilders kommt mir in den Sinn. Er hatte zwei Streichhölzer zwischen Daumen und Zeigefinger genommen und gesagt: »Ihr müsst die Füße, Knie und Beine fest aneinanderpressen. Sonst zerbrechen sie beim Aufschlag wie Zündhölzchen.« Er erhöhte den Druck der Finger, die Hölzchen knacksten leise.
Ich presse meine Beine mit aller Kraft zusammen. Sie sollen nicht so zerknicken. Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, schlage ich mit Wucht auf die hart gefrorene Rasenfläche. Die Schneeschicht auf dem Boden ist leider noch viel zu dünn, um den Aufschlag merklich abzuschwächen. Der Schrei meines Kameraden endet abrupt beim Aufschlag. Ich öffne die Augen, die ich wohl automatisch so fest geschlossen hatte wie meine Beine, und schaue mich um. Sanitäter und Ausbilder stehen bereits neben uns. »Tut Ihnen etwas weh?«, höre ich. Zu meinem Erstaunen stelle ich fest, dass ich keinerlei Schmerzen habe. Auch mein übereifriger Kamerad scheint nicht schlimm verletzt zu sein. Ich würde das gerne nachholen und schreie ihn an: »Du Idiot! Das kommt davon, wenn man so dicht hinterherspringt!« Ein Ausbilder bringt mich zur Räson. »Beruhigen Sie sich, es ist ja noch mal gut gegangen. Trinken Sie heute Abend lieber gemeinsam ein Bier auf Ihre überstandene Bruchlandung!« Auch ein Sanitäter meldet sich zu Wort und fragt nochmals nach, ob wir irgendwo Schmerzen haben. Als wir beide verneinen, verrät ein leises Kopfschütteln das Erstaunen des Sani. »Wenn noch was sein sollte oder Ihnen auch nur schwindlig wird, dann melden Sie sich im Sanbereich«, sagt er uns noch. Ich habe es überlebt, denke ich erleichtert und bin stolz auf meine Leistung. Es ist ein denkwürdiger Tag für mich, der 26. November 1998. Leider verstärken sich der Wind und das Schneegestöber an den folgenden Tagen, sodass an weitere Sprünge erst einmal nicht zu denken ist. Die Idee der Ausbilder, sich die Wartezeit in der Pendelhalle mit Landefallübungen zu vertreiben, erweist sich als eher schädlich. Mit der Zahl absolvierter Landefälle erhöht sich auch die Unfallrate. Ein Bildungstag wird eingelegt, an dem wir Schloss Neuschwanstein besuchen.
Unser Aufenthalt in Bayern verlängert sich um 14 Tage. Mit jedem weiteren Tag wachsen meine Zweifel, ob ich überhaupt noch einmal das Risiko eines Fallschirmsprungs auf mich nehmen sollte. Aber als der nächste Sprung endlich so weit ist, stehe ich ihn ohne Blessuren durch. Wie zur Belohnung verschlechtert sich die Wetterlage derartig, dass nur noch die Hubschrauber Starterlaubnis bekommen. Meine beiden folgenden Sprünge von der Heckklappe des Transporthubschraubers CH 53 kommen mir wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk vor. Ohne Hektik schreite ich die Laderampe entlang, bis ich ins Leere trete. Da der Hubschrauber wesentlich langsamer fliegt als die C160, erfasst einen kein heftiger Windstoß. Der Schirm öffnet sich in 450 Meter Höhe und ich gleite in den Tiefschnee, als sei ich selbst eine Flocke. So schön sanft und entspannt kann ein Fallschirmsprung sein. Die feierliche Verleihung des deutschen Springerabzeichens, das einen kleinen eichenlaubumkränzten Fallschirm zwischen zwei Schwingen darstellt, ist ein besonderer Moment. Wir treten dazu im »kleinen Diener« an. Zum ersten Mal seit Wochen tragen wir endlich wieder das bordeauxrote Fallschirmjägerbarett. In München stoße ich mit meinen Lehrgangskameraden auf unsere neuen Sprunglizenzen, die Springerscheine, an, dann trennen sich unsere Wege.
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