Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
Vom Netzwerk:
dem Kamm der Geländewelle, der eine zu Bachs Hof, der andere zu
dem Parkplatz, auf dem sein Peugeot stand. Stamm ging nach rechts.
    Ein plötzlicher Knall durchbrach die Stille. Stamm zuckte zusammen.
Seine Knie waren so weich, dass er in den Schnee sackte. Ein zweiter Knall
ertönte. Stamm konnte immer noch nicht orten, woher er kam. Sekundenbruchteile
später war ein trockenes Knacken aus der Baumgruppe fünfzig Meter vor ihm zu
hören. Er ließ sich fallen. Ein dritter Knall verursachte ein Kribbeln in
seinem Nacken. Er grub sich unwillkürlich in den Schnee. Er drehte sich auf die
Seite und blickte sich um.
    Auf dem Pfad, der zu Bachs Bauernhof führte, sah er eine Gestalt
rennen, die in der rechten Hand ein Gewehr hielt. Der Lauf zeigte in den
Himmel. Die Gestalt rannte zum Wald hinunter und verschwand hinter einer
Geländekuppe. Stamm hob den Kopf ein wenig. Da tauchte der Kopf der Gestalt
wieder auf, um aber Sekunden später zwischen den ersten Bäumen des Waldes zu
verschwinden. Jetzt versank die Landschaft wieder in der wattierten Stille, die
vorhin so jäh durchbrochen worden war. Sekunden vergingen. Minuten.
    Dann tauchte aus dem Wald eine Gestalt auf und kam auf ihn zu. Stamm
verspürte den Impuls aufzustehen und davonzulaufen. Doch wohin? Die Landschaft
war nach allen Seiten offen. Er würde jedem Schützen ein erstklassiges Ziel
bieten. Er blieb liegen und wedelte Schnee über sich. Die Gestalt verschwand
hinter einer Kuppe und tauchte zwei Minuten später direkt vor ihm wieder auf.
    »Was machen Sie denn hier?«, lachte Thilo Bach.
    »Auf mich wurde geschossen«, knurrte Stamm. Er stand auf und klopfte
den Schnee von seiner Kleidung.
    »Ach wo«, sagte Bach. »Der alte Lebzien hatte es auf ein Reh
abgesehen.«
    »Da war aber kein Reh«, ereiferte sich Stamm. »Der Mann ist
gemeingefährlich. Den kann man doch nicht frei mit einem Gewehr herumlaufen
lassen.«
    »Ganz ruhig«, mahnte Bach. »Ich habe ihm gesagt, dass er ein wenig
vorsichtiger sein soll. Normalerweise läuft hier im Winter niemand herum. Ich
kann verstehen, dass Sie sich etwas erschreckt haben. Aber da war wirklich
keine Gefahr. Ich dachte übrigens, Sie fahren nach Waren.«
    »Und ich dachte, Sie sitzen in Ihrer Küche und trinken Kaffee.«
    Bach musterte ihn. »Ich habe gesehen, dass Sie zum Wald
hinuntergegangen sind, und da ich weiß, dass Lebzien auf Jagd ist, wollte ich
nach dem Rechten sehen.«
    Stamm schnaufte einmal durch. »Na ja, dann vielen Dank.« Er
schüttelte grimmig den Kopf. »Das wäre ein schöner Tod gewesen. Von einem halb
blinden Idioten mit einem Reh verwechselt zu werden.«
    Es war zwei Uhr, als Stamm wieder in Waren ankam. In einem
Schnellimbiss bestellte er ein halbes Hähnchen mit Pommes frites, ein
ausgesprochen trockener Vogel, den er mit viel Wasser hinunterspülen musste.
Bevor er zur Klinik fuhr, rief er aus dem Auto noch einmal bei der
Staatsanwaltschaft an und bat Frau Eichhorn, auch eine möglicherweise
vorhandene Ermittlungsakte im Zusammenhang mit der Abwicklung des Neustrelitzer
Mastbetriebs zu ziehen, wenn sie sich schon seinetwegen ins Archiv bemühen
musste. Anscheinend war sie mit ihrem Mittagessen zufriedener gewesen als
Stamm, denn ihr Protest fiel unerwartet schwach aus. Stamm rief Eva an und
kündigte an, dass er voraussichtlich spätabends nach Hause kommen würde.
    Um zehn vor drei saß er im Wartezimmer von Dr. Terlinden in der
Klinik und betrachtete die Bilder an der Wand. Eines war erkennbar Munchs
»Schrei« nachempfunden, in der Darstellung nicht so virtuos, die rohen und
ungestümen Pinselstriche ließen es aber beinahe noch verzweifelter wirken, ein
zweites verstörte Stamm durch seine düsteren Figuren vor blutrotem Hintergrund.
Gleich daneben hing, wie als Gegengift, ein Aquarell, das eine friedliche
Seenlandschaft zeigte. Nach ein paar Minuten betrat die Ärztin den Raum.
    »Ergebnisse unserer Kunsttherapie«, sagte sie. »Beeindruckend,
nicht?«
    »Sehr.« Stamm erhob sich und gab ihr die Hand.
    »Lassen Sie uns gleich gehen«, sagte Dr. Terlinden. »Waren Sie
bei Thilo Bach?«
    »Ja.«
    »Und?« Sie blieb mit der Türklinke in der Hand stehen.
    »Er hat mit mir gesprochen.«
    »Gut.« Sie öffnete die Tür und ließ Stamm vorbei. »Ich würde
vorschlagen, dass Sie zunächst mich das Gespräch führen lassen. Ich möchte
sehen, wie es läuft.«
    »Ist mir sehr recht. Darf ich das Gespräch aufnehmen?« Dr. Terlinden
blieb stehen und dachte kurz nach. »Es geht mir nur darum,

Weitere Kostenlose Bücher