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Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
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hob langsam die rechte Hand hoch. Zwischen den
Fingern hielt er Stamms Zigarette.
    »Gute Reaktion«, sagte Stamm und nahm die Zigarette. »Ich hatte
irgendwie den Eindruck, dass sich jemand an meinem Wagen zu schaffen macht.« Er
kam sich blöde vor.
    »Brauchen Sie Feuer?«, fragte der Mann. Im Licht der Straßenlaterne
erkannte Stamm jetzt ein kantiges, wettergegerbtes Gesicht. Der Mann musste um
die sechzig sein, aber seine Haltung strahlte Kraft aus.
    »Ja, danke«, sagte Stamm. Er hatte sich allmählich wieder im Griff.
»Sie haben da unten nicht zufällig was Verdächtiges gesehen? Man munkelt, dass
sich in der Gegend eine Bande von Autoknackern herumtreibt, die es auf Navis
und Xenon-Scheinwerfer abgesehen hat.«
    »Tut mir leid, aber ich bin auch gerade erst rausgekommen«, sagte
der Mann. Er beförderte ein Sturmfeuerzeug aus der Jackentasche und ließ es
aufflammen. Während sich Stamm vorbeugte, um seine Zigarette anzuzünden, warf
er einen schnellen Seitenblick auf den Hauseingang, vor dem sie standen. Die
Treppenhausbeleuchtung war aus. »Welches ist denn Ihr Wagen?«
    »Der Audi da vorn«, log Stamm. »Na, was soll’s, wär wohl auch zu
viel des Guten gewesen, die Brüder auf frischer Tat zu ertappen. Wenn ich schon
raus in diese Scheißkälte gegangen bin, kann ich mir auch gleich noch etwas die
Beine vertreten. Also noch mal, nichts für ungut wegen der Karambolage vorhin.«
    Er deutete eine Abschiedsgeste an und ging weiter zum Deich. Nach
einer kleinen Runde kehrte er über die Volmerswerther Straße zurück. Die
Abteihofstraße lag still und friedlich da, der silberne Passat war weg.
    Die Morgenbesprechung am Freitag dauerte ungewöhnlich lang, weil
Stamm ausführlich von seinem Trip nach Waren berichtete.
    »Fazit?«, fragte Hanne Lohmeyer, nachdem Stamm fertig war.
    »Tja, ich zerbreche mir die ganze Zeit den Kopf, was von der Sache
zu halten ist. Ich würde sagen, noch haben wir keine Geschichte. Aber es könnte
eine werden, wenn man sie auf die Täterschaft dieses SED -Bonzen
verdichten könnte. Ansonsten hätten wir einen zweiten Aufguss des
Satanisten-Artikels, und das möchte ich Hamburg eigentlich nicht vorschlagen.«
    »Seh ich genauso«, sagte Hanne Lohmeyer. »Und du meinst, es lohnt
sich weiterzurecherchieren? Wo würdest du ansetzen?«
    »Ich möchte versuchen, die Mutter oder die Schwester ausfindig zu
machen, wobei ich eher auf die Mutter setzen würde. Zu der hat Angela zwar
keinen Kontakt, aber im Gegensatz zur Schwester versucht sie anscheinend nicht,
in Deckung zu bleiben. Außerdem dürfte sie in der fraglichen Zeit viel mehr
mitbekommen haben. Sie soll in Thüringen leben, Dr. Terlinden glaubt, in
Nordhausen.«
    »Gut, dann versuch dein Glück!«, entschied Hanne Lohmeyer. »Was
haben wir sonst?« Sie sah Werner Meister an.
    »Da wäre der neue Demographiebericht, den die Bertelsmann-Stiftung
gestern vorgestellt hat. Ich hab ihn mir schon etwas genauer angesehen. Da wird
unter anderem für das ganze Ruhrgebiet ein dramatischer Bevölkerungsrückgang in
den nächsten fünfzehn Jahren prognostiziert. Ich würde mich gern ein bisschen
dahinterklemmen. Ach ja, und dann habe ich noch diesen katholischen Priester, der
einen Kollegen getraut hat. Jetzt stehen sie beide vor dem Rausschmiss.«
    »Wo war das noch mal?«, fragte Hanne.
    »Paderborn.«
    Die Redaktionsleiterin dachte kurz nach. »Wenn mich meine Geographie
nicht im Stich lässt, liegt das doch ungefähr auf halber Strecke nach
Thüringen. Das könntest du doch gleich mit erledigen, Hans. Ihr wisst schon,
wir müssen sparen. Und hier scheint es mir sogar noch einen thematischen
Synergieeffekt zu geben. Für die katholische Kirche dürften die Verfehlungen
der beiden schon leicht ins Satanistische lappen.«
    Stamm sah seine Chefin argwöhnisch an.
    Meister grinste. »Hanne war gestern in der Stunksitzung und wurde
dabei vermutlich mit antikatholischer Agitprop infiltriert. Das müsste sich
übers Wochenende aber wieder geben.«
    »Ach ja?«, machte Stamm. »Haben sie wieder dem Erzbischof die Maske
von der Fratze der Scheinheiligkeit gerissen?«
    »Viel schlimmer«, sagte Meister. »Die Brüder schrecken nicht einmal
mehr vor dem Papst zurück. Wie war der Sketch eigentlich, Hanne? Wir werden ihn
ja nicht sehen können, nachdem der WDR feinfühligerweise entschieden hat, ihn aus seiner Aufzeichnung
herauszuschneiden.«
    »Du hast es doch gesagt, Werner: antikatholische Agitprop. Aber
witzig. Vor allem nach ein paar

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