Soljanka (German Edition)
Altstadt und gingen ohne Umweg übers
Hotel ins Restaurant. Sie bestellten beide Soljanka und eine Fuhrmannspfanne,
die sie sich teilen wollten. Bei der Suppe erwachten Evas Lebensgeister wieder.
»Das schmeckt ja sensationell«, rief sie nach dem dritten Löffel.
Stamm sah sie zweifelnd an. »Mmja, wärmt gut auf«, murmelte er.
»Ach, du hast ja keine Ahnung.« Sie begann, die Suppe zu sezieren.
»Rindfleisch, Fleischwurst, nein warte, sieht eher nach Jagdwurst aus,
Gewürzgurken, bestimmt süßsauer eingelegte Spreewälder, und Kapern natürlich,
ganz wichtig. Tomaten auch, aber was für welche? Von der Konsistenz her müsste
auch Tomatenmark drin sein. Aber woher kommt die Säure? Nur vom Gurkensaft,
oder ist auch Essig drin? Das muss ich fragen. Und noch eine Note kann ich
nicht ganz zuordnen, so was leicht Bittersüßes. Gedünstete Zwiebeln vielleicht?
Hm, Zwiebeln sind drin, aber das ist es nicht. Erinnert mich eher an Paprika,
aber Paprikastücke sehe ich nicht.«
Sie rief die Kellnerin und löcherte sie so lange, bis sie das Rezept
abgespeichert hatte. Auch dem bittersüßen Geheimnis war sie auf die Spur
gekommen. Paprikamark, zusammen mit Tomatenmark kurz mit den Zwiebeln
mitgeröstet und anschließend mit Brühe und Tomaten aufgefüllt. Die Säure kam
tatsächlich nur von den Tomaten und den Gurken. Und einem Schuss Zitronensaft.
Sie erfuhr, dass die ursprünglich russische Soljanka in unzähligen Variationen
zu einer Art Nationalgericht in der DDR geworden
war.
»Das kriegst du jetzt zu Hause jeden Tag zu futtern«, drohte sie
Stamm anschließend an. »So gut habe ich schon lange kein Essen mehr vertragen.«
Stamm zwinkerte ihr zu und streichelte ihr liebevoll über die
gerötete Wange. Über die Fuhrmannspfanne musste er sich allein hermachen, was
ein schier aussichtsloses Unterfangen war. Es blieb eine ordentliche
Abendmahlzeit für die Hunde des Hauses übrig.
NEUN
Um halb acht war Stamm wach. Ein paar Minuten lang lag er
still da und beobachtete Eva, die mit einem angedeuteten Lächeln im Gesicht
leise schnorchelte. Dann stand er auf und schloss den Laptop ans Internet an.
Er googelte die Fentens in Kombination mit Wismar und fand unter
anderem Ernst Fenten, Pfarrer im Gemeindeverbund St. Nikolai/Heiligen
Geist, sowie Dr. Dagmar Fenten, eine niedergelassene Kinderärztin.
Mit Josef Müller hatte er erwartungsgemäß weniger Erfolg. Die ersten
von hundertvierzigtausend Eintragungen betrafen einen legendären CSU -Politiker, genannt Ochsensepp, reichlich Einträge
über einen mutmaßlich korrupten Bürgermeister von Köln, einen
Gebrauchtwagenhändler aus Würselen, einen Heilpraktiker aus Zweibrücken, einen
Winzer aus Bingen, einen Holzblasinstrumentenhändler aus Hamburg und einen
Blogger von irgendwoher. Die nächsten Seiten sah er sich gar nicht erst an.
Während er auf der Deutschland-Karte den besten Weg nach Wismar suchte, wachte
Eva auf.
»Auf, du Langschläferin«, begrüßte Stamm sie. »Die vereiste Ostsee
wartet auf uns.«
»Ach ja?«, gähnte Eva.
»Die Fentens wohnen noch in Wismar. Da fahren wir gleich hin. Soll
hübsch sein, habe ich gehört. Ist außerdem berühmt für seine
Soljanka-Spezialitäten.«
Sie streckte ihm die Zunge raus, stand aber gleich auf und kam nach
zehn Minuten frisch geduscht aus dem Bad.
Sie frühstückten, dann rief Stamm in Düsseldorf an und kündigte
Hanne Lohmeyer an, dass sich die Dienstreise um einen Tag verlängern werde.
»Die Recherche ist aufwendiger als gedacht. Unter Umständen brauche
ich sogar noch das Wochenende.« Er fasste das Gespräch mit Udo März kurz
zusammen, erläuterte seine Absicht, mit den Eltern von Rico Fenten zu sprechen,
und flunkerte Hanne vor, dass er hoffte, einen Hinweis auf Josef Müller zu
bekommen. Hanne murrte skeptisch, ließ sich dann aber bereitwillig mit dem Versprechen
auf eine Eins-A-Story beruhigen.
Bevor sie auscheckten, rief er Dr. Silvia Terlinden in der
Klinik an. Sie hatte erst am späten Nachmittag Zeit, wodurch das angedachte
Treffen ausfallen musste. Stamm rekapitulierte noch einmal das Gespräch mit März.
»Es scheint nach alldem ziemlich festzustehen, dass Angela in jener
Nacht nach dem Volksfest vergewaltigt worden ist, ob von Rico Fenten oder von
van Wateren. Vielleicht war doch dies der Auslöser für Angelas Erkrankung, und
die Satanistengeschichte entsprang im Nachhinein ihrer Phantasie.«
Die Ärztin versprach, Angela in einer ihrer nächsten Sitzungen in
angemessener Form
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