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Soljanka (German Edition)

Soljanka (German Edition)

Titel: Soljanka (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niklas Frost
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Jacken
wurden sie dagegen sofort wieder weggeweht. Weiß bekränzt kämpften sie sich die
wenigen Meter zum Pfarramt durch. Immerhin wurde die Tür auf ihr Klingeln
schnell geöffnet.
    Eine grauhaarige, untersetzte Frau, die Ende vierzig sein mochte, empfing
sie. Sie hatten Glück. Pfarrer Ernst Fenten war im Haus. Durch eine halb
geöffnete Tür konnten sie ihn in seinem Büro telefonieren hören. Die Frau
fragte nach ihrem Anliegen. Ihr Blick wurde misstrauischer, als Stamm, kürzer
angebunden, als er beabsichtigt hatte, auf eine private Angelegenheit verwies.
Als der Pfarrer sein Gespräch beendet hatte, ging sie in sein Büro und schloss
die Tür.
    Nach ein paar Sekunden kam sie wieder heraus, und gleich hinter ihr
erschien ein hochgewachsener Endfünfziger in der Tür. Er trug einen warmen,
bequemen Norwegerpullover und Jeans. Seine dicken dunkelbraunen Haare zeigten
ebenso wie sein dichter Vollbart noch keine Spur von Grau. Widerspenstige
Wirbel und Wellen hatten den Versuch vereitelt, sie durch einen Scheitel zu
bändigen. Sie strebten in alle Richtungen auseinander, und nur ein radikaler
Schnitt verhinderte, dass sich ein lustiger Afrolook auf dem Kopf des Pfarrers
auftürmte, der freilich einen irritierenden Kontrast zum strengen Ausdruck des
schmalen, zerfurchten Gesichtes gebildet hätte.
    »Guten Tag«, begrüßte er Stamm und Eva mit seiner sonoren,
ausgebildeten Stimme. »Ich bin Ernst Fenten.«
    »Hans Stamm«, stellte sich Stamm vor. »Und das ist meine Kollegin
Eva Vossen. Wir sind vom Magazin. Können wir Sie einen Augenblick sprechen?«
    »Worum geht es?«, fragte der Pfarrer distanziert.
    »Es geht um Waren«, sagte Stamm mit einem kurzen Seitenblick auf die
Gemeindesekretärin, die immer noch neben ihnen stand.
    Ein ganz leichtes Blinzeln verriet die Überraschung des Pfarrers.
Nach wenigen Sekunden hatte die Neugier über das Misstrauen gesiegt. Er nickte
kaum wahrnehmbar und bat sie in sein Büro.
    »Es ist gut, Frau Grote«, sagte er der Sekretärin und schloss hinter
Stamm die Tür. Er rückte zwei Stühle vor seinen Schreibtisch, bat sie mit einer
Geste, Platz zu nehmen, und setzte sich in seinen schlichten Drehsessel.
    Stamm wartete einen Moment, ob Fenten das Gespräch eröffnen wollte.
Als dieser keine Anstalten dazu machte, sagte Stamm:
    »Wir recherchieren in einer tragischen alten Geschichte, Herr
Pfarrer Fenten. Ich muss Ihnen wahrscheinlich nicht erklären, in welcher,
vorausgesetzt, Sie sind, wie ich vermute, der Vater von Rico Fenten.«
    Der Pfarrer sah Stamm lange ausdruckslos an, als wollte er
herausfinden, welche Absichten er verfolgte.
    Schließlich sagte er: »Rico war mein Sohn.«
    Stamm wartete wieder, aber Fenten beließ es bei der knappen
Auskunft. Stamm holte Luft und sah Fenten mit einem freundlichen Blick an, der
Verständnis für dessen Zurückhaltung signalisierte.
    »Eins möchte ich vorwegschicken«, sagte Stamm. »Ich habe nicht vor,
die Ereignisse von damals einfach nur aufzuwühlen. Darf ich Ihnen erläutern,
wie wir an den Fall gekommen sind?«
    Fenten nickte langsam.
    »Angela Dembski hat über ihre Therapeutin Kontakt zu uns aufgenommen,
nachdem wir im Magazin einen Artikel über einen Fall von satanistischer Folter
veröffentlicht hatten. Haben Sie in den letzten Jahren von Angela Dembski
gehört?«
    Fenten schüttelte ebenso langsam den Kopf.
    »Nun, sie lebt immer noch gefangen in den Ereignissen von damals.
›Schwere posttraumatische Störung‹ lautet die Diagnose. In ihrer Erinnerung ist
diese auf einen äußerst massiven Fall von satanistischer Folter zurückzuführen.
Daher die Kontaktaufnahme. Laienhaft ausgedrückt, wollte sie sich die Sache von
der Seele reden. Ich habe mir das angehört, und ich will nur so viel sagen,
dass es furchtbar war. Im Zuge der weiteren Recherchen ergaben sich jedoch
Zweifel. Ich bin auf die Vergewaltigung damals nach dem Volksfest in Waren
gestoßen, und dabei auf den Verdacht gegen Ihren Sohn und seinen Selbstmord.
Damit hätte der Fall für uns eigentlich erledigt sein können. Denn so tragisch
das für die arme Frau auch ist, würden wir doch nicht über ein so lange zurückliegendes
Verbrechen berichten. Es sei denn, es stellt sich heraus, dass alles ganz
anders war und möglicherweise ein noch viel größeres Verbrechen dahintersteckt,
das bis heute unaufgeklärt ist.«
    Ernst Fenten hatte sich bei Stamms letzten Sätzen vorgebeugt und sah
ihn nun mit bohrendem Blick an.
    »Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte er.

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