Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
in ihren Schweber zurückstürzten und mich ausdruckslos anstarrten; Blut strömte ihnen über die Kopfhaut. Eine Frau, die beide Waffen fallen ließ, kopfüber hing sie an einer uralten Feuerleiter, einen Fuß zwischen den Sprossen eingeklemmt; sie starrte auf mich herab, Blut tropfte in die Tiefe. Das alles waren schlechte Menschen gewesen. Alle waren sie tot. Alle hatte ich getötet.
Hier hatte nicht ich den Abzug betätigt, doch ich hatte auch Harper umgebracht. Siebenundzwanzig Tote, in siebenundzwanzig Jahren, dazu all die verdammten Cops, die mir kürzlich vor die Flinte gekommen waren. Und jetzt erwartete mich meine wohlverdiente Strafe.
Ich lauschte. Ich konnte hören – ich wusste, dass es wahrscheinlich stockfinster in dem kleinen Schweber war, mit dem man mich als neuen ›Rekruten‹ der Kirche transportierte, also konnte ich vielleicht auch sehen. Ich konnte mich nicht bewegen, konnte nicht atmen, konnte nicht aufhören, diesen entsetzlichen, rasiermesserscharfen Schmerz zu spüren, der über jedes einzelne meiner Nervenenden leckte. Mein Verstand überschlug sich fast, ich ging noch einmal sämtliche Diagramme und Fließbilder durch, die wir ausgearbeitet hatten, auf jede nur verfügbare Oberfläche geschmiert, in Kieths säuberlicher kleinen Schrift und meinen riesigen Kritzelbuchstaben. Wir müssen uns, ging es mir durch den Kopf, an Bord eines der privaten Transportschweber befinden, mit denen die Cyber-Kirche Frachtgüter befördert es wäre ja wohl kaum angemessen, wenn Mönche in aller Seelenruhe frisch ermordete Bürger durch die Straßen trügen und dabei am besten auch noch fröhlich pfiffen. Die Kirche hatte eigene Luftrouten für ihre Schweber. Das galt für alle anerkannten Religionsgemeinschaften, auch wenn die meisten, dessen war ich mir ziemlich sicher, diese nicht dazu nutzten, Leichen durch die Gegend zu transportieren.
Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit schon verstrichen war. Sonderbares Entsetzen durchfuhr mich, fast wie ein elektrischer Schlag, und dann blieb dieses Entsetzen einfach: ein bohrendes, bedrohliches Gefühl. Ich wollte schreien und um mich schlagen und mit dem Kopf so fest gegen die Wand meines winzigen Gefängnisses hämmern, dass ich wenigstens das Bewusstsein verloren hätte, doch ich lag bloß da, und mein toter Körper selbst schien mich zu verspotten. Wenn sich so der Tod anfühlte, kurz bevor man in die Ewigkeit abdüste, dann war ich wirklich jederzeit bereit, auch so eine Mönchskutte anzulegen.
Plötzlich hörte ich mehrmaliges lautes Scheppern, danach das charakteristische Kreischen der Schweber-Verdrängung. Spüren konnte ich nicht das Geringste, doch ich kannte dieses Geräusch, und mir wurde klar, dass wir zur Landung ansetzten. Vor meinem geistigen Auge sah ich Westminster Abbey: die einzelne, frei stehende Mauer aus uralten Steinen, die wie ein gebrochener Knochen aus dem Boden eines großen Innenhofs herausragte, umgeben von einer dickeren, extra verstärkten Wand. Der Schweber-Landeplatz befand sich nicht allzu weit von den Überresten dieses unvorstellbar alten Gebäudes entfernt. Alles wirklich Wichtige befand sich hier unter der Oberfläche, und ich wusste, sobald wir erst einmal aufgesetzt hatten, würde man mich auf ein großes Förderband legen und auf diese Weise in das tiefste Innerste dieses Ortes schaffen. Ich stellte mir den vor mir liegenden Weg als dünne rote Linie vor, die schließlich in einem dieser kleinen, quadratischen Räume endete; das war der ›Eingang‹ für die Leichen. Von diesen kleinen Räumen aus wurden die Leichen dann auf weiteren Förderbändern durch schmale Gänge in ein riesiges Vorbereitungszentrum geschafft. Dort ging es dann ans Eingemachte, wobei – so hatte zumindest West erklärt – die eigentlichen Operationen weitestgehend von Droiden durchgeführt wurden.
Wenn alles gut lief, würde ich in einem dieser kleinen Räume landen und dann nicht mehr weiterbefördert werden – es sei denn, ich würde mich ausdrücklich dafür entscheiden, in dieser Richtung weiterzugehen, und zwar auf meinen eigenen zwei Beinen – das wäre vielleicht eine ganz schlechte Wahl, aber immerhin hatte ich noch die Wahl.
Eine Ewigkeit verging, und mich durchfuhr ein dumpfer, unwirklicher Strom, reizte meine toten Nerven, sodass sie eine durchaus glaubwürdige Imitation von ›Schmerz‹ empfanden. Dann befand ich mich wieder in Bewegung; das spürte ich daran, wie ich im Inneren des Mobil-Sarges, in den man mich gesteckt
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