Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch

Titel: Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Somers
Vom Netzwerk:
Schritte: Jemand durchquerte den Raum. Und da war noch etwas anderes: in der Ferne und nur schwach, fast wie eine Verkörperung der Hoffnung selbst – das Verdrängungsfeld eines SSD-Schwebers.
    Noch einen Moment lang waren wir beide alleine: Reg- und lautlos, und ich spürte schon, wie ich meine Umwelt allmählich nur noch unscharf erkennen konnte. Im Inneren des Schutzraums konnte man mich nicht sehen, aber ich konnte es nicht riskieren, dass man mich atmen hörte – nicht, wenn ein gottverdammter Cyborg mich verfolgte.
    »Warum verstecken Sie sich, Mr Gates?«, fragte der Mönch. Bemerkenswerterweise klang er fast, als sei er traurig. »Eines Tages wird uns alle das Lebensende ereilen. Beenden Sie dieses Spiel mit Würde und nehmen Sie Ihr Schicksal an. Es scheint, als habe unser Freund vom SSD doch über ein Link verfügt. Das ist bedauerlich, denn das bedeutet, dass ich nicht noch weitere kostbare Minuten darauf verwenden kann, aufs Geratewohl auf diese Wand zu schießen. Das würde doch gewiss die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen, meinen Sie nicht?« Es folgte eine kurze Pause. »Nun, als pflichtbewusster Bürger des Systems, Mr Cates, kann ich wenigstens Ihren Namen der örtlichen SSD-Dienststelle melden und darauf hinweisen, dass Sie sich an genau dem Ort aufgehalten haben, an dem kürzlich ein Officer getötet wurde. Die Cyber-Kirche nimmt Bürgerpflichten sehr ernst. Leben Sie wohl, Mr Cates.« Ich hörte schwere Schritte, als der Cyborg sich aus dem Raum zurückzog und dann die Treppe hinabstieg. Der Schweber war jetzt ganz in der Nähe. Ich stellte mir schon vor, wie blaues Scheinwerferlicht in den Raum fiel, auf der Suche nach dem dunkelgekleideten Mönch. Ich hielt den Atem an. Ich hielt den Atem an, bis ich mir am liebsten die Zunge abgebissen hätte. Ich hielt den Atem an, bis ich Schleier vor den Augen hatte und mein Gehirn den Dienst einstellte. Dann wurde ich bewusstlos.

V
    ›Menschen in Lohn und Brot‹,
    die aussterbende Spezies
     
    00101
     
     
    Es war zu hell, zu ungeschützt. Mit einer Fingerspitze presste ich auf Gatz’ Klingel. Sofort hörte ich die sanfte Frauenstimme seines Apartment-Interfaces. »Sie haben Besuch! Mr Gatz, Sie haben Besuch!« Gatz stellte das Interface gerne auf ›weiblich‹ ein. Er redete auch auf das Gerät ein, verfluchte und beschimpfte es.
    In beiden Richtungen drängte sich die graue Menschenmasse an mir vorbei. Millionen von Leuten hier in New York hauen keinen Job; jeden Tag aufs Neue hasteten sie durch die Gegend und suchten nach irgendetwas, das sie stehlen konnten, einen Ort, an dem sich ihre Beute verkaufen ließe und vielleicht hier und dort irgendetwas Kostenloses zu futtern. Ich fühlte mich völlig schutzlos, und mein Schädel brummte. Ich vermutete, dieser Schutzraum sei das Einzige gewesen, das mich vor all den anderen Habenichtsen gerettet hatte. Die meisten hätten mir die Kehle durchgeschnitten, wenn sie mich gefunden hätten – aus nackter Angst.
    Erneut presste ich auf den Knopf. Allmählich ging mir die kokette Stimme dieses Interfaces auf die Nerven: sie war so verdammt fröhlich. Es gab wahrlich nichts, weswegen man hätte fröhlich sein können.
    Endlich hörte ich das Summen des Türöffners. Rasch betrachtete ich noch ein letztes Mal die vorbeihastende Meute, trat hastig ein und schloss die Tür hinter mir. Dann stieg ich in den altersschwachen Aufzug und brachte ihn dazu, mich nach oben zu befördern. Gatz teilte sich sein Zimmer mit zwei anderen Leuten; sie wohnten dort in Acht-Stunden-Schichten. Es war ein einziger Raum mit einer Pritsche in der Ecke, dazu einer Couch, die nicht übermäßig schimmlig aussah, einer kleinen Kücheneinheit und einer Toilette – immerhin mit Wasserspülung. Schön war etwas anderes, aber wenigstens musste Gatz nicht auf der Straße hausen und konnte eine schwere Metalltür hinter sich schließen, wenn ihm der Sinn danach stand, und so hatte er zumindest etwas Schutz vor Einbrechern, Halsabschneidern und anderen Verzweifelten.
    Gatz öffnete die Tür und trat zur Seite; mit einer Handbewegung bedeutete er mir hereinzukommen. Er trug lediglich Shorts, und sein ausgemergelter, abgekämpfter Körper war so bleich, dass es wirkte, als müsse er im Dunkeln leuchten. Er trug seine Sonnenbrille – das beruhigte mich, denn Gatz musste einem genau in die Augen blicken, um einen zu ›pushen‹.
    Was genau dieses ›Pushen‹ war, hatte ich nie richtig verstanden. Ich hatte es sogar nur ein einziges Mal

Weitere Kostenlose Bücher