Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
Religionsgemeinschaft das Feuer eröffnen, und paff!, schon wäre ich Dawson und Hallier ein für allemal los.
Während die Cops noch den flüchtenden Mönchen hinterherhasteten, packte ich Gatz am Kragen und zerrte ihn hinter mir her. Wie es letztendlich ausgehen würde, wollte ich wirklich nicht mit eigenen Augen mitansehen. Wir rannten, als wäre der Teufel persönlich hinter uns her: Kev keuchte wie ein alter Mann, ich blieb ihm dicht auf den Fersen. Wir verschwanden irgendwo in der Stadt, und ich dachte, schon in wenigen Stunden würde ich in ein Flugzeug steigen und diesen Teil des Kontinents verlassen, unter einem anderen Namen.
Zwei Stunden später hockten Gatz und ich in einem kleinen Apartment, das uns ein Kumpel freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte. Dort wollten wir ein paar Stunden abwarten, bis wir uns gefahrlos wieder auf die Straße wagen konnten, um uns dann an Gatz’ Splicer-Freund Marcel zu wenden.
»Meine Fresse, Ave, ist das nicht einer der Bullen, die wir vorhin losgeworden sind?«
Müde blickte ich zum Vid auf. Es war ein älteres Modell, noch ohne all die neumodischen Spielereien, und der Bildschirm war noch nicht einmal anderthalb Meter breit – aber das bedeutete eben auch, dass dieses Gerät keine der Überwachungs-Sperenzchen draufhatte, wie sie bei neuen Geräten üblich waren. Auf dem Bildschirm war klar und deutlich das sonderbar hässliche Gesicht von Barnaby Dawson zu sehen, mit seinem blonden Haar und den blauen Augen. Er blickte schnurgerade in die Kamera und wirkte sehr, sehr sauer.
Ich stöhnte und sorgte mit einer Handbewegung dafür, dass der Ton wieder eingeschaltet wurde.
»… tot. In einer Stellungnahme, die uns aus London erreichte, verurteilten Repräsentanten der Cyber-Kirche das Verhalten des SSD-Captains und verlangten, ihn umgehend vom Dienst zu suspendieren und wegen Mordes anzuklagen. Eine Erklärung für die in illegaler Weise modifizierten Feuerwaffen, die bei den Leichen der Mönche gefunden wurden, wurde im Rahmen dieser Stellungnahme nicht abgegeben. Die Cyber-Kirche gilt jetzt als sechstgrößte Religionsgemeinschaft der Erde; sie hat etwa neunhundert Millionen registrierte Mitglieder. Bruder Kitlar Muan, der Pressesprecher der Kirche, lehnte jegliche Interview-Anfragen ab … In Minsk wurden heute Nachmittag erneut Ausschreitungen in Zusammenhang mit der Lebensmittelverknappung gewalttätig nieder …«
Eine kurze Handbewegung, und der Ton verstummte wieder. Nun war nicht mehr Dawson zu sehen, sondern stattdessen Videoaufnahmen der Ausschreitungen: Leute schrien und bluteten und wurden vom SSD übel zusammengeschlagen. So endeten sämtliche Ausschreitungen. Ich richtete den Blick auf den Fußboden.
Dawson lebte noch, und ich war im Arsch. Wir waren beide im Arsch, aber mein Interesse daran, dass es Gatz gut ging, reichte dann doch nicht so weit, dass ich mir um ihn ernstlich Sorgen gemacht hätte. Ich mochte Kev wirklich, also gab ich mein Bestes, ihn nicht umzubringen. Das hieß natürlich nicht, dass es mir schlaflose Nächte bereiten würde, falls es irgendwann doch einmal geschehen sollte, ob nun bei einem Unfall oder sonst irgendwie, so nützlich der Bursche auch sein mochte. Dawson lebte noch, Hallier war tot. Sie hätten beide tot sein sollen. Diese Scheiß-Mönche hätten bei den beiden genau den gleichen Voodoo-Scheiß abziehen sollen, den ich schon mit eigenen Augen mitangesehen hatte, und bei Dawson hätte jetzt eigentlich ›In Ausübung seiner Dienstpflichten gefallen‹ in den Akten stehen müssen: Ein weiterer Bulle, der bei den Mönchen ausgeflippt war und sich zur Belohnung eine Kugel eingefangen hatte. Dass dieser Scheißkerl immer noch lebte – und von der Abteilung für Innere Angelegenheiten gefoltert worden war, in einem Verhörzimmer, das nicht überwacht oder ausgekundschaftet werden konnte, ja, das es laut Bauplan des Gebäudes und gemäß sämtlichen Akten überhaupt nicht gab-, das war nicht Teil des Plans gewesen.
»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, stöhnte ich.
Gatz war wach und rieb sich aufregt die Unterarme. »Avery, wir müssen los. Jetzt gleich! Wir müssen Marcel finden, bevor sich auf der Straße herumspricht, dass du irgendetwas damit zu tun hast. Wenn Marcel hört, dass man dich mit dieser Sache irgendwie in Verbindung bringt, packt der dich nicht mal mehr mit der Kneifzange an.« Mit glasigem Blick schüttelte Gatz den Kopf. »Und auch sonst niemand.«
Er hatte recht. Von den System-Bullen
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