Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
»Das ist mein Partner, Jack Hallier.«
Ich blickte Hallier an. Er rührte keinen Muskel. Wir befanden uns auf der Eigh th Avenue, einem Teil von New York, der immer noch bewohnt war. Jedes zweite Gebäude war zwar schon geräumt und nur noch eine Ruine – auch hier hatten die Ausschreitungen ihre Spuren hinterlassen –, doch in anderen drängten sich in den Fenstern zahlreiche Leute: träge, gelangweilt, arm. Ich konnte mich erinnern, dass auf dieser Straße früher einmal Fahrzeuge unterwegs gewesen waren, doch mittlerweile war der eigentliche Fahrstreifen deutlich schmaler geworden: unternehmungslustige Obdachlose hatten sich im Schatten der Hauswände aus allerlei Abfall behelfsmäßige Unterkünfte errichtet, und in manchen wurde auch zum Verkauf angeboten, was die Leute dort zusammengesammelt hatten. Wenn nicht gerade Gestalten vom SSD hier waren, drängten sich auf dieser Straße zahllose Leute, doch wir hatten jetzt zwei Häuserblocks ganz für uns allein. Der Wind wirbelte uns Müll um die Beine. Selbst die Brecher hatten sich verzogen.
Ich nickte freundlich. »Officers.«
Halliers Hand zuckte vor und versetzte mir eine schallende Ohrfeige. Vor meinen Augen verschwamm alles, mein Kopf ruckte zur Seite, und ich spürte, wie meine Zähne sich in die Backentasche gruben; sofort schmeckte ich Blut. Als ich es schließlich schaffte, den Blick wieder auf die beiden SSDler zu richten, hielt mir Dawson einen – bemerkenswert gepflegten -Finger unter die Nase.
»Passen Sie bloß auf, in welchem Ton Sie mit wem reden, Mr Cates«, sagte er, und sein Gesicht war immer noch so ungerührt, als wäre es aus Stein gemeißelt. Einzig sein Blick zuckte immer noch hin und her. Na großartig, dachte ich. Ein Psychopath. Wieder mal typisch.
Ich sagte nichts.
»Kennen Sie einen Burschen namens Nad Muller? So ein zwielichtiger Typ, der seine Finger nicht bei sich behalten kann?«, fragte er dann.
Ich nickte. »Jau, klar. Aber der ist tot. Man hat ihn in der Prince Street gefunden – hat sich ’ne Kugel eingefangen.«
Dawson nickte und hob die Augenbrauen. »Jau, klar. Sie waren ja schließlich dabei, Sie Schwachkopf.«
Ich mühte mich, mein allmählich anschwellendes Gesicht völlig ausdruckslos wirken zu lassen. »Nein, Sir«, sagte ich und bereitete mich schon auf eine zweite Ohrfeige vor.
Sie kam nicht. Offensichtlich belustigt, blickte Dawson zu Hallier hinüber, doch Hallier mit seinen toten Augen starrte mich immer noch ungerührt an; sein Mund war ein wenig geöffnet. Es wirkte fast, als wolle er mich kraft seiner Gedanken vom Boden abheben lassen.
»Hmm«, machte Dawson schließlich und wandte sich wieder mir zu. »Avery Cates, siebenundzwanzig Jahre alt, geboren in Old Brooklyn, zwölf Jahre zur Schule gegangen. Hauptverdächtiger in fünfzehn ungelösten Mordfällen und bei zwei Dutzend weiteren, kleineren Vergehen. Sechsmal festgenommen, keine Verurteilung. Bekannt als beachtlicher Revolverheld, gut als Auftragskiller oder Leibwächter oder für ähnliche Jobs zu gebrauchen. Guter Ruf in der Gosse; gilt als vertrauenswürdiger, grundanständiger Kerl, der seine Jobs immer erledigt und nie sein Wort bricht – und das alles zu einem vernünftigen Preis. Sogar außerhalb von New York sehr bekannt.« Die Scheiß-Bullen und die Scheiß-Mönche. Die glaubten, ständig drahtlos mit irgendwelchen riesigen Datenbanken verbunden zu sein, mache sie zu etwas Besonderem. Und sie spielten so gerne Gedankenleser! »Willst du von uns auch noch deine Schuhgröße wissen, Arschloch?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keinen Spaß an dieser Vorführung.
Dawson tippte mir mit dem Finger kräftig auf die Brust. »Sie waren dabei, Gates! Wir wissen, dass Sie dabei waren.« Plötzlich lag Halliers Hand auf meinem Arm; er stieß mich an. »Wir werden jetzt einen Spaziergang machen, und dabei können Sie uns ganz genau erzählen, wie Sie zugeschaut haben, als ein SSD-Officer getötet wurde.«
»Ach, Scheiße«, murmelte ich. Ich wusste, wie das hier enden würde: Letztendlich würde ich in irgendeiner Seitengasse auf dem Boden knien, eine Pistole fest gegen die Schläfe gepresst. Scheiß System-Bullen! Die machten keine halben Sachen. Ich versuchte nachzudenken, aber der fette Cop stieß mich immer heftiger an, und Dawsons Augen, die immer noch die ganze Gegend zu sondieren schienen, wirkten unnachgiebig und äußerst unzufrieden.
»Officers!«
Wir alle hielten inne, und als ich aufblickte, sah ich Kev Gatz, der
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