Somers, Jeff - Avery Cates 01 - Der elektronische Mönch
wollt was?«, fragte Kieth entgeistert. »Ihr durchgeknallten alten Schachteln, ihr könnt doch dieses Ding unmöglich durch die Straßen steuern!«
»Dann sieh mal ganz genau hin, kleiner Mann. Schaff dein Forschungsprojekt an Bord und hör auf zu jammern!«
Gatz und ich rannten durch die Hintertür ins Freie. Sofort erfassten uns die Suchscheinwerfer, und wir rannten in das Labyrinth der Ruinen hinaus. Kurz darauf zerfraß ein Feuerstoß den Schutt hinter uns. Ich hatte den Mund voller Steinstaub, als wir durch die Überreste der zerstörten Stadt eilten; ohne Rücksicht auf Verluste stürmten wir durch dunkle, schuttübersäte Räume und dachten nicht einmal daran, über was man hier alles stolpern und woran man sich aufspießen konnte.
Das Tosen der Schweber-Verdrängung war unmittelbar hinter uns. Ich rannte einfach, so schnell ich konnte, duckte mich immer wieder hinter die endlosen Gebäuderuinen, bis wir wieder die Überreste der Straßen von Newark erreicht hatten. Vor uns ragte eine unbeschädigte Wand auf. Schlitternd kamen wir zum Stehen und blickten uns hilflos um, und ich bildete mir ein, schon spüren zu können, wie der Schweber genau über dem Gebäude hinter uns in der Luft stand und den Boden absuchte. Mein Blick fiel auf den Kanaldeckel vor uns, halb von Schotter bedeckt. Ich versetzte Gatz einen Stoß.
»Los! Der Dreckskerl ist hinter mir her. Lauf los! Wir sehen uns in London!«
Gatz nickte, als das weiße Licht, kalt und schmerzhaft, uns erfasste. Sofort zog ich mich wieder zurück und versuchte nach Kräften, im Schatten der Gebäude zu bleiben. Gatz blickte sich nach mir um, während ich vorsichtig immer weiter zurückwich; schließlich blieb ich stehen und verspürte eine Sekunde lang das vertraute Gefühl lustloser Kooperation. Gatz blinzelte mir zu und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Und ich setzte mich wieder in Bewegung.
»Wir sehen uns, Ave!«, übertönte Gatz’ Stimme das Dröhnen des Schwebers.
Ich nahm mir nicht die Zeit nachzudenken. Ich wirbelte herum und sprang auf den Kanaldeckel zu. In New York nutzten wir oft die alten Abwasserkanäle, um irgendwelche Ecken der Stadt zu erreichen. Ach verdammt, ohne Geld im System zu überleben, war ein echter Full-Time-Job, und damals, als ich gerade fünfzehn Jahre alt war und mit den ›Snuff Thieves‹ durch die Gegend gezogen war und die alte ›Staub-im Auge-Credit-Scheibe-in-der-Hand‹-Nummer abzog, da hatte ich gelernt, dass es verborgene Gassen unter den Straßen gab. Wir Kids hatten in den verdammten Abwasserkanälen gelebt. Aber der SSD hatte Wind davon bekommen und sie durchgehend verwanzt: Bewegungsmelder, sensorgesteuerte Automatik-Kameras, in unregelmäßigen Abständen Patrouillengänge. Es war illegal, sich in den Abwasserkanälen herumzutreiben – bloß ein weiteres der zahllosen Gesetze, die der Einheitsrat erlassen hatte. Jede Woche kamen mindestens zehn neue hinzu, und die alten wurden ständig durch irgendwelche Zusatzartikel erweitert. Aus meinem Mantel, in dessen Taschen sich allerlei Gerätschaften für irgendwelche Eventualitäten befanden (man wurde einfach keine siebenundzwanzig Jahre alt, wenn man nicht auch auf schlechte Nachrichten vorbereitet war), zog ich einen einfachen Schraubenschlüssel, der genau in die kleine Öffnung am Rand des Deckels passte.
»He, Ratte!«, übertönte Mojes Stimme den Lärm, als der Schweber das Gebäude passiert hatte, der Lichtkegel des Suchscheinwerfers mich erfasste und meine ganze Welt aufleuchten ließ wie den Times Square zur Mittagsstunde. »Wenn du mich dazu zwingst, in diese Scheiße da unten zu klettern, dann werde ich dafür sorgen, dass die Ärzte dich wiederbeleben, nachdem ich dich umgebracht habe, bloß um dich nochmal umbringen zu können!«
Ich riss den Deckel hoch und stieß ihn zur Seite, verlor dabei meinen Schraubenschlüssel. Mit den Füßen voran ließ ich mich in den Schacht gleiten, presste die Arme dicht an den Körper und rutschte in die Finsternis hinein, als eine weitere Salve das Pflaster aufriss. Ich merkte sofort, dass diese Kanäle hier tiefer als die in New York waren, und so schloss ich bloß die Augen und wartete auf den Aufprall.
Als er schließlich kam, schmerzte er höllisch, aber er brachte mich nicht um. Ich klatschte ins Wasser, und als ich den Schlag im Rücken spürte, als sei ich auf eine Betonfläche geprallt, sank ich tiefer und tiefer und musste sofort würgen. Avery Gates, der weltberühmte Revolverheld, ertrank in
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