Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
dabei kurz und flach. Ich hatte mittlerweile herausgefunden, ab welchem Punkt meine Lungenflügel rebellierten und krampften, sodass ich blutige Stückchen meiner selbst aushustete. Wenn ich diese Schwelle gerade so eben unterschritt, konnte ich den Hustenreiz weitgehend unterdrücken. Es war fast, als lebe man unter Wasser. »Sie könnten den Fahrstuhl wohl nicht dazu bringen, hier zu uns herunter zu kommen, oder?«
Der Techie neigte den Kopf zur Seite. »Vielleicht doch, Mr Gates, aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich eine gute Idee wäre. Es wäre ziemlich laut und würde wahrscheinlich Aufmerksamkeit erregen. Und wie ich gerade eben glaube angemerkt zu haben, hängt diese Kabine hier schon mindestens Jahrzehnte – bestenfalls. Ich schätze, die Chancen, dass uns das Ding geradewegs in den Tod reißt, stehen eins zu eins.«
Ich nickte, würgte ein wenig meines eigenen Blutes hinunter und spürte, dass ein fiebriger Schweißfilm meinen ganzen Körper bedeckte. »Ausgezeichnet.« Natürlich, alles musste immer auf die harte Tour laufen, verdammte Scheiße. Selbst als ich noch ein ganz gewöhnlicher Revolverheld von der Straße gewesen war und für vielleicht je fünfhundert Yen den einen oder anderen Schwachkopf mitten in einer Menschenmasse erledigen durfte, hatte alles immer auf die harte Tour laufen müssen. Zu viele Leute, zu viele Leibwächter. Eine Zielperson, die sich ausschließlich unterhalb der Oberfläche durch die Stadt bewegte. Eine Zielperson, die sich tief unter der Westminster Abbey verborgen hielt. Eine Zielperson, die sich von einem System-Bullen bewachen ließ.
Ich hielt inne. Wieder durchzuckte irgendetwas mein Hirn, eine undeutliche Erinnerung. Bevor ich ihr noch weiter nachspüren konnte, war aus dem oberen Teil des Schachtes ein entsetzliches mahlendes Geräusch zu hören, und plötzlich rieselte ein ganzer Schauer winziger Funken abwärts. Sie verloschen sehr rasch. Bevor ich Marko dazu noch eine Frage stellen konnte, musste ich mit sonderbar belustigtem Entsetzen mitansehen, wie die uralten Beleuchtungskörper im Inneren des Fahrstuhlschachts einer nach dem anderen aufflammten. Die meisten der Glühbirnen explodierten sofort in einem heftigen Blitz. Die wenigen, die noch verblieben, tauchten den Schacht in ein mattes, kränklich-gelbes Licht.
Das langsame Kreischen kam näher und näher. Kev weiß, dass wir hier sind, dachte ich. Ich fühlte seine Gegenwart nicht, konnte keinerlei Anzeichen seines ›Pushs‹ erkennen. Dennoch war ich nicht geneigt, mich in Bewegung zu setzen. Kev kam hierher, oder er hatte zumindest einige seiner Lakaien ausgeschickt, um mich endgültig zu erledigen, und in gewisser Weise erleichterte mich das. Ich war müde. Erschöpft. Ich wandte den Kopf zur Seite, spie Blut auf den Fußboden, während Lukens hinter mir hin und her schritt. Das immer schriller werdende Heulen des Shredders erfüllte die Luft: Die Sturmtrupplerin machte sich bereit, die Fahrstuhltür ins Visier zu nehmen, sobald die Kabine auf unserer Ebene einträfe.
Der Fahrstuhl machte unglaublichen Lärm, als er langsam herunterkam; Rost kratzte über Rost. Staub rieselte vor unseren Augen den Schacht hinab. Als die Kabine endlich zu sehen war, geschah das fast unendlich langsam; sie zitterte und bebte, als würde eine eckige Kiste durch eine runde Röhre gequetscht. Die Kabine sackte noch einige Zentimeter unter die Ebene des Stockwerks ab, dann kam sie zitternd zum Stehen, und dann – Stille. Ich hörte regenartiges Prasseln von Rostteilchen. Dann war die höhlenartige Öffnung vor uns vom jammernden Quietschen misshandelten Metalls erfüllt.
Einen Moment später schlug uns dröhnender Lärm aus dem Inneren der Aufzugskabine entgegen. Marko zuckte zusammen und wich schweigend einige Schritte zurück, den Blick fest auf das kleine Gerät in seiner Hand gerichtet. Die Sturmtrupplerin rührte sich nicht. Sie starrte nur die Aufzugstüren an; ihr kurzer Zeigefinger lag auf dem Abzug ihrer Waffe. Das Dröhnen wiederholte sich noch zweimal, dann entstand zwischen den beiden Türflügeln ein etwa ein Zentimeter breiter Schlitz, und die Spitze eines Stemmeisens war zu sehen. Mit einem scharrenden Quietschen öffnete sich langsam die Tür, Zentimeter um Zentimeter. Es geschah ruckartig, als sei dafür immense Anstrengung erforderlich. Noch ein Zentimeter, noch zwei, dann konnte ich im Inneren der Kabine eine Bewegung erkennen. Drei weitere Zentimeter, dann erkannte ich sogar Hände. Als die
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