Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
Direktverbindung zum SSD habe.
Man ist schon auf dem Weg hierher. Der Alarm wurde in genau dem Moment ausgelöst, in dem wir das Labor betreten haben.«
Das glaubte ich ihm sogar. Schließlich war er der Leiter von irgendetwas Wichtigem – von was auch immer. Er kannte Unterstaatssekretär Ruberto persönlich, und vielleicht kannte er sogar den stets lächelnden, heuchlerischen Avatar von Dick Marin. Terries besaß genug Einfluss, mir drei Psioniker in ein piekfeines Restaurant hinterherzuschicken, um mich abholen zu lassen. Wahrscheinlich kamen die Cops tatsächlich, wenn er nach ihnen rief. Zumindest ging ich davon aus, dass sie das normalerweise tun würden – nur vielleicht nicht gerade dann, wenn ohnehin ein allgemeiner Notstand ihre Aufmerksamkeit erforderte.
Ich habe schon reichlich System-Bullen umgebracht, hätte ich dem Wissenschaftler entgegenhalten können, statt mir nur meinen Teil zu denken. Falls Sie meinen Namen erwähnt haben, dann werden die sich wahrscheinlich gerade gegenseitig die Köpfe einschlagen, um herauszufinden, wer sich persönlich um mich kümmern, darf. Doch ich konzentrierte mich ganz darauf, nicht zu laut zu atmen und voranzukommen. Als die Leuchtknöpfe unmittelbar vor mir waren, kroch ich bis zu den Türen und zwang meine brennenden Lungenflügel dazu, langsam und stetig zu arbeiten. Ich hob die Hand, tastete nach dem Rufknopf. Als ich ihn endlich gefunden hatte, drückte ich vorsichtig darauf. Er leuchtete auf, und ich zuckte zusammen. Für jeden System-Cop – oder jeden, der auch nur einen Funken Talent im Leib hatte – würde das ausreichen, um das Feuer auf mich zu eröffnen, und ich verfluchte mich innerlich, mich derart idiotisch verhalten zu haben.
Nichts geschah, und ich entspannte mich. Ich war mir ziemlich sicher, dass Terries nichts bemerkt hatte. Hinter mir spürte ich das sanfte Summen des Aufzugs, der sich mittlerweile in Bewegung gesetzt hatte. Auch ich hatte jetzt die Waffe gezogen, hielt sie fest, zielte auf die Decke und ließ den Blick durch den dunklen Raum schweifen.
Im System – zumindest in den Teilen des Systems, die ich kannte – war das Einzige, was wirklich von Bedeutung war, das absolut Einzige, was zählte, der Ruf, den man hatte. Zwei Männer stiegen in eine Kiste, einer davon starb; der andere kam wieder heraus: Es war egal ob man danach blutüberströmt und angeschlagen war. Es war egal ob man bettelte und andere bestach, ob man in dieser Kiste geheult und geflucht hatte. Wichtig war nur, dass man selbst überlebte und der andere draufging. Und es war egal wenn man danach nach Hause wankte und sich furchtbar betrank, wenn man noch mehr heulte, wenn man eine ganze Woche lang zitterte wie Espenlaub – dieser ganze Scheiß war egal. Der andere war tot, man selbst lebte; und so bekam man seinen Ruf.
Bislang hatte noch jeder, mit dem ich mich jemals hatte anlegen müssen, früher oder später das Zeitliche gesegnet. Manchmal war es reines Glück gewesen – ein Stolpern, irgendeine Ablenkung, ein Glückstreffer. Manchmal hatte ich lügen und betrügen können, hatte irgendeine Insider-Information erhalten. Normalerweise war mir einfach nur genug Zeit geblieben, meine Umgebung genau zu erkunden, sodass ich gewusst hatte, wo man sich gut verstecken konnte oder wie die ganze Gegend überhaupt aussah. Nichts davon wirkte sich auf den Ruf aus, den man sich erwarb: Auf der Straße war ich eben Avery Gates, den noch niemand besiegt hatte und der unzählige Leichen hinter sich ließ. Und im Laufe der Zeit wurde der Platz, den andere einem auf der Straße machten, größer und größer. Die Leute wurden zunehmend nervöser, wenn man sie anschaute. Und die Anzahl derjenigen, die einen umbringen wollten, einfach nur um sagen zu können, dass sie Avery Cates erledigt hätten, wuchs ebenfalls. Und eigentlich war nichts davon irgendwie von Bedeutung … aber das war alles, was man hatte.
Mit gespreizten Beinen saß ich in der Dunkelheit auf dem Fußboden, spürte einen Luftzug, als der Aufzug zu mir herunterkam, und dachte: Scheiß auf den Ruf – es ist einfach gut, wenn man zur Abwechslung einfach mal ein bisschen Glück hat!
Jetzt galt es erneut, sich in Geduld zu üben. Ich saß da und brachte meine Atmung wieder unter Kontrolle, wartete auf den Aufzug, der jeden Moment eintreffen musste. Ich spürte, wie hinter mir die Kabine anhielt, und machte mich bereit, wollte sofort aufspringen können, wenn sich die Türen öffneten, den Blick dorthin
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