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Sommer der Entscheidung

Sommer der Entscheidung

Titel: Sommer der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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Ich wusste gar nicht, dass sie so gern liest. Vor einigen Tagen sind wir zusammen zur Bücherei gefahren, und sie kam mit einer Ladung Bücher wieder heraus.“ Er klang stolz. „Ich werde sie jetzt jede Woche hinfahren.“
    „Sie ist ein intelligentes Mädchen“, sagte Tessa. Nach einer Pause fuhr sie mit noch kühlerer Stimme fort: „Es ist schade, dass sie die Schule nicht beendet hat.“
    „Ja, das finde ich auch.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber sie wollte mit ihrem dicken Bauch nicht weiter hingehen. Sie sagte, sie könnte es einfach nicht. Ich kann mir vorstellen, dass, wenn das Baby da ist, sie dann ihren Hauptschulabschluss nachholt. Und wenn sie sieht, wie gut sie vorankommt und mehr Selbstbewusstsein hat, dann kann sie vielleicht ein paar Kurse an der Volkshochschule belegen. Oder Fernkurse am Computer machen. Ich habe mir schon einige Angebote angesehen. Die sind gar nicht so schlecht. Ich weiß ja, dass sie erst einmal bei dem Baby bleiben will.“
    Nancy war beeindruckt, und Tessa hatte nichts mehr zu sagen.
    „Überlegen Sie sich, was Sie mit den alten Maschinen anfangen wollen“, sagte Zeke, „drüben in Edinburg habe ich einen Freund, der gerne an so alten Sachen herumschraubt. Vielleicht bekommt er das eine oder andere wieder flott und kann es verkaufen.“
    „Sag ihm, er kann es haben, wenn er will. Ich recycle es lieber, als dass ich es wegwerfe“, sagte Nancy. „Und den Rest holst du ab?“
    „Erst einmal sehe ich mir alles an. Alles, was nicht mehr zu retten ist, bringe ich rüber zur Mülldeponie.“
    Nancy wollte protestieren, dass Zeke für all das kein Geld nehmen wollte, aber er wehrte ihr Angebot mit einer Geste ab. „Sie wollen doch wohl nicht etwa, dass ich mit Cissy und meinem Vater Ärger bekomme, oder? Die beiden würden es nicht annehmen, und ich nehme es auch nicht.“
    Nancy schwieg und nickte.
    „’S war nett, mit Ihnen beiden zu reden. Haben Sie einen schönen Abend.“ Er ging durch die Scheune, und erst, als er den beiden den Rücken zugekehrt hatte und fast durch das Tor getreten war, zog er seine Kappe aus der Hosentasche und setzte sie auf den Kopf.
    „Ich habe ihn mir anders vorgestellt.“ Nancy wandte sich an ihre Tochter. „Oder was meinst du?“
    „Ich weiß nicht, wie du ihn dir vorgestellt hast.“
    „So ähnlich wie du, nehme ich an.“
    „Er ist nett. Und er macht sich Sorgen um Cissy.“
    Beim Frühstück hatte Nancy einen neuen, harten Zug um Tessas Mundwinkel bemerkt. Er war immer noch da. Sie hasste es, Tessa so zu sehen. Allmählich vergaß sie, wie Tessa aussah, wenn sie entspannt war. Eine glückliche Tessa war eine Märchenfigur aus einem anderen Leben.
    „Warum machen wir morgen nicht einen Tag Pause?“, bot sie spontan an. „In Woodstock gibt es mitten in dieser Art Einkaufszentrum dieses kleine nette Restaurant, und der Koch ist genauso gut wie jeder aus der Stadt. Vielleicht können wir deine Großmutter davon überzeugen, dass sie mitkommt. Wir könnten mal in die kleinen Antiquitätengeschäfte schauen und …“
    „Mom, mir geht es gut.“
    Nancy wusste, dass das nicht stimmte. Aber wie sagt man einer Tochter, die man liebt, dass sie lügt? Und dass man siedurchschaut? Dass man genau weiß, wie es ihr geht, wenn man sie nur kurz ansieht, während ein Psychotherapeut dafür zehn Sitzungen braucht?
    „Mack ist gestern Nacht nicht hiergeblieben“, stellte Nancy fest. „Und ich habe gehört, dass ihr euch gestritten habt.“
    „Dann lass uns doch zur Abwechslung mal über deine Ehe sprechen.“ Tessa holte aus ihrer Hose eine Papierrolle hervor und gab sie ihrer Mutter.
    Nancy sah sich die Heiratsurkunde an, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr in der Hand gehabt hatte – seit genau drei Jahrzehnten. Alle ihre Muskeln schienen plötzlich auf einmal zu krampfen. „Wo hast du das her?“
    „Aus deinem Jahrbuch.“
    Nancy versuchte sich daran zu erinnern, dass sie sie dort hineingelegt hatte, aber es gelang ihr nicht. Und ihre Hochzeit schien schon eine Ewigkeit her zu sein. Und vielleicht war es sinnvoll gewesen, dieses Stück Papier in ihr geliebtes Jahrbuch zu legen. Sie war so jung, fast ein Baby, gewesen. Mit zweiundzwanzig Jahren hatte sie noch so viele Träume gehabt, wie ein Teenager, der noch zur Schule ging. Nach ihrem Abschluss hatte sie nicht gewusst, wohin. Bis Billy kam.
    „William Lee Whitlock und Nancy Ann Henry.“ Sie blickte auf das Dokument und schüttelte gleichmütig den Kopf, obwohl ihr Herz

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