Sommer der Liebe
Kindheit auch so perfekt?
»Was denkst du gerade?«, wollte Gus wissen, als sie eine Weile geschwiegen hatte.
»Ich dachte, was für eine wunderbar freie Kindheit du und dein Bruder in den Wäldern und Feldern hattet.«
»Es war nicht alles perfekt, wenn du es genau wissen willst. Als Mum den falschen Mann heiratete, war es schlimm für uns alle. Schlimmer für sie, glaube ich. Er war ein Tyrann. Aber das hier«, er deutete auf den Wald um sie herum, »hat uns für vieles entschädigt.«
»Ich möchte, dass Rory auch so eine Kindheit hat und nicht den ganzen Tag vor dem Computer hockt oder auf der Straße herumhängt. Das war einer der Gründe für unseren Umzug. Er hat sich in der Vorschule in London nicht wohlgefühlt. Ich musste ihn nach einigen Monaten wieder rausnehmen. Er ist dort fast eingegangen.«
»Hier wird er nicht eingehen!«
»Ich weiß, deshalb will ich ja nicht von hier fort. Die Fillhollow School wirkt so ideal. Jody, Annabelles Mutter, sagt, dass sie ganz toll ist.«
»Du musst auch nicht wegziehen, jedenfalls nicht weit«, erklärte Gus voller Überzeugung, »also kann Rory immer noch auf diese Schule gehen.«
Sian seufzte. »Selbst wenn das stimmt und eines von den Häusern, die Mum für mich gefunden hat, für uns geeignet ist …« Sie hielt inne.
»Was?« Seine Stimme klang fordernd, aber nicht ungeduldig. Er schien wirklich wissen zu wollen, was ihr Sorgen bereitete.
»Ich habe das Gefühl, dass dieser Sommer eine Idylle war, die enden wird, wenn Rory in die Schule kommt. Es war so schön hier. Das Wetter war perfekt, und deine Mutter hat mich hier so herzlich aufgenommen. Ich habe das Gefühl, angekommen zu sein. Ich habe Freunde gefunden, ich habe Arbeit und lebe in einem Haus, das ich liebe. Und am ersten Tag des neuen Schuljahres wird es ausgemessen, um es völlig umzugestalten, und für Rory beginnt ein ganz neuer Lebensabschnitt. Eigentlich ist jetzt alles zu Ende.«
Gus legte ihr den Arm um die Schulter, schwer und tröstlich. »Nein, ist es nicht. Rory wird dich noch jahrelang brauchen. Und es wird immer noch idyllisch sein.«
Er klang so sicher, und Sian fühlte sich gleich ein wenig getröstet.
20
»Mum«, sagte Rory eines Morgens früh. In wenigen Tagen kam er zur Schule, und Sian schickte ihn nicht mehr zur Spielgruppe, denn sie wollte noch ein bisschen Zeit mit ihm verbringen. Außerdem hatte sie vor, die Häuser zu besichtigen, die ihre Mutter für sie herausgesucht hatte.
»Ja, Schatz?« Sie frühstückten entspannt, und Sian war schmerzlich bewusst, dass solche ausgiebigen gemeinsamen Frühstücke sehr bald auf die Wochenenden beschränkt sein würden.
»Die Schule wird doch nicht so sein wie in London, oder?«
Rorys Ausflug in die Vorschule in London war für alle ein traumatisches Erlebnis gewesen.
»Auf gar keinen Fall. Annabelles Brüder lieben es, da zu sein! Die Fillhollow School ist auch viel kleiner, weißt du nicht mehr? Und die Lehrerin kennst du auch schon.«
Die Schulleiterin, Felicity, hatte in den Ferien eine kleine Party für die neuen Schüler veranstaltet, und so waren weder die Lehrer noch die anderen Kinder Rory völlig fremd. Sian war sehr angetan von dem einladenden Klassenraum mit den fröhlichen Bildern an den Wänden, den interessanten und abwechslungsreichen Unterrichtsmaterialien und der warmherzigen und liebevollen Haltung des Lehrerkollegiums gewesen.
»Und ich kenne die Kinder, nicht wahr? Von der Spielgruppe.«
»Ja, genau. Annabelle ist deine beste Freundin.« Sian sprach es nicht aus, aber sie wusste, dass Annabelle die Art von kleinem frechen Mädchen war, die Rory beschützen würde, wenn es nötig sein würde.
»Und ich kann schon fast lesen!«
»Also gibt es nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest, oder?«, sagte sie und umarmte ihn.
Nach dieser kleinen Unterhaltung freute Rory sich nur noch auf die Schule. Sie war froh, dass er so empfand, aber sie war auch ein bisschen traurig. Obwohl sie die Aussicht, mehr Zeit zum Arbeiten zu haben, sehr genoss, wusste sie, dass sie Rory vermissen würde. Es war jedoch schön, den Beitrag für die Spielgruppe nicht mehr bezahlen zu müssen.
Sians Gedanken wanderten zu Gus. Seit dem Wochenende hatte sie nichts von ihm gehört, was sie ein bisschen beunruhigte. Eigentlich hatte sie gehofft, dass er die Häuser mit ihr besichtigen würde, und dann war da ja auch noch das wichtige Gespräch mit Rory, das sie vor Schulbeginn gemeinsam mit ihm führen wollten … Sie waren am
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