Sommer der Liebe
Arm, warf ihn in die Luft und drehte ihn im Kreis, bis der Junge quietschte. »Wo ist mein großer Mann? Wir gehen morgen zur Schule, ja?«
»Ja!«, rief Rory und lachte begeistert.
So verhält sich kein Vater, dachte Sian, sondern eher ein wilder jüngerer Onkel. Richard wäre niemals so grob mit Rory umgegangen. Und dann verspürte sie plötzlich wieder ein schlechtes Gewissen.
»Setz dich doch, Angus«, sagte Fiona in tadelndem Ton. »Rory bricht gleich seinen Kuchen wieder aus, wenn du nicht aufpasst.«
»In einer Minute. Ich muss nur noch schnell mein Lieblingsmädchen begrüßen.« Dann küsste Gus Sian auf den Mund und sah sie mit einem verruchten Funkeln in den Augen an. Sian duckte sich weg, bevor er zu weit gehen konnte, doch ihr Herz klopfte stürmisch. Wie viel wusste Fiona? Wahrscheinlich alles, so wie Gus sich benahm. Aber Sian würde nicht zulassen, dass er so tat, als wäre alles in bester Ordnung und als hätte er sie nicht die ganze vergangene Woche ignoriert.
»Gus, wir müssen uns kurz allein unterhalten«, sagte Sian, während Rory und Fiona den Kuchen betrachteten, auf dem eine große Schultüte aus Marzipan prangte.
»Müssen wir das?«, erwiderte Gus. »Ach, lass uns warten, bis wir mit dem Tee fertig sind! Hey Rory? Ich habe was für dich.« Er gab dem Jungen ein kleines in eine Serviette eingewickeltes Päckchen.
»Es ist ein Drache!«, sagte Rory, nachdem er es geöffnet hatte.
»Hast du den geschnitzt?«, fragte Fiona ungläubig. »Er ist wunderschön.«
»Das ist er wirklich«, sagte Sian leise und bewunderte die perfekt herausgearbeiteten Schuppen, Klauen und Nüstern der Holzfigur, die Rory immer wieder in seiner kleinen Hand drehte. »Du kannst schnitzen, warum kannst du dann nicht zeichnen?«
»Schnitzen ist nicht so schwer, und Drachen sollen ja ein bisschen grob und schuppig aussehen. Mit einem Messer kann ich umgehen. Da wir gerade davon sprechen, willst du den Kuchen nicht endlich anschneiden, Rory? Hier, nimm das dafür.« Er reichte ihm ein Messer, das eine Frau niemals einem Kind überlassen hätte. Doch weder Sian noch Fiona erhoben Einspruch.
Rory stellte sich beim Schneiden sehr geschickt an; stolz legte er jedem ein Stück Kuchen auf den Teller.
»Und, willst du dem Drachen nicht einen Namen geben?«, fragte Gus.
»Ja, das ist eine gute Idee«, sagte Sian. »Du könntest ihn in deiner Tasche mit zur Schule nehmen.«
»Dann hast du einen Freund dabei«, ergänzte Fiona.
»Ich habe schon eine Menge Freunde in der Schule«, erwiderte Rory stolz. »Aber meinen Drachen nehme ich auch mit«, fügte er hinzu, weil er Gus nicht kränken wollte.
»Und, willst du ihm einen Namen geben?«, hakte Fiona nach.
»Weiß nicht«, sagte Rory und strich liebevoll über das kleine Spielzeug. »Wie soll ich ihn denn nennen?«
»Das ist deine Entscheidung, Kumpel«, meinte Gus. »Du könntest ihn Bill nennen oder so. Oder denk dir etwas Drachenmäßiges aus.«
»Was ist drachenmäßig? Ich meine, was ist ein guter Drachenname?«, fragte Rory.
»Bitte fühl dich nicht verpflichtet, ihn Puff zu nennen wie der Drache in dem Lied«, sagte Fiona. »Sonst singen wir es den ganzen Abend.«
»Also nicht Puff«, sagte Rory und überlegte. »Ich glaube, er soll Bill heißen. Bill der Drache.«
»Das gefällt mir!«, erklärte Sian. »Du brauchst keine angeberische Alliteration. Das hast du gar nicht nötig.«
Rory sah sie an. »Ist das eins von Grandpas schweren Wörtern?«
»Ja«, sagte Sian. »Es bedeutet, dass Wörter mit demselben Buchstaben anfangen, aber darüber brauchst du dir noch keine Gedanken zu machen. Das musst du erst wissen, wenn du viel größer bist.«
»Ich bin jetzt schon groß.«
Sian beschloss, dass es keinen Sinn hatte, länger darauf zu warten, Gus unter vier Augen zu sprechen, sondern lieber zu sagen, was ihr auf der Seele brannte. Es gab keinen besseren Zeitpunkt. Sie holte tief Luft und sprach es einfach aus, bevor sie Zeit hatte, es sich noch einmal anders zu überlegen. »Das bist du! Und weil du so ein großer Junge bist, haben Gus und ich beschlossen, dir etwas zu sagen.«
Fiona wollte aufstehen, doch Sian legte ihr die Hand auf den Arm und hielt sie fest. Dann sah sie Gus an, und er nickte leicht.
»Du weißt doch, dass viele Kinder eine Mummy und einen Daddy haben. Du hast nur eine Mummy …«
»Und deine Großeltern«, fügte Fiona hinzu.
»Ja?« Rory spielte mit seinem Drachen und schien nicht besonders interessiert zu sein.
»Na ja, du
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