Sommer der Nacht
Mannschaften nicht unterscheiden können«, sagte Digger Taylor.
Mike wischte sich mit dem T-Shirt den Schweiß von der Stirn. »Was meinst'n damit?«
Taylor zuckte die Achseln. »Ich meine, es ist zu dumm, daß wir alle gleich aussehen. Beide Mannschaften, meine ich.«
Kevin räusperte sich und spie in der ihm eigenen zimperlichen Art aus. »Meinst du, wir brauchen Trikots oder so was?« Die Vorstellung war absurd. Selbst die Jugendmannschaft der Stadt besaß nur T-Shirts ohne Zahlen und mit dem offiziellen Abzeichen darauf, und das Abzeichen verblaßte nach ein paarmal Waschen.
»Nee«, sagte Taylor. »Ich hab' nur gedacht mit Hemden gegen ohne Hemden.«
»He, klar«, sagte Bob McKowan, ein Junge, der in einem verwahrlosten Dachpappehaus in der Nähe von Daysingers verwahrlostem Dachpappehaus wohnte. »Mir ist sowieso zu heiß.« Er streifte das T-Shirt ab. »He, Larry!« rief er Lawrence zu. »Wir sind jetzt die Ohnehem-den. Zieh dein T-Shirt aus und geh aufs Feld!«
Lawrence sah den älteren Jungen böse an, weil der ihn mit dem verbotenen Namen angesprochen hatte, aber er zog sein Fruit of the Loom Größe sieben aus und stand auf, um zu schlagen. Seine knochige Wirbelsäule zeichnete sich unter der blassen Haut ab wie winzige Stegosau-rierschuppen.
»Ja, heiß!« tutete einer der Fussner-Zwillinge, worauf beide ihre T-Shirts auszogen. Sie hatten identische kleine Wampen.
McKown schlug sich auf die bloße Brust und wandte sich an Kevin, der neben ihm saß. »Ziehst du dich auch aus, oder wechselst du zur anderen Seite?«
Kevin zuckte die Achseln, zog das T-Shirt aus und legte es neben sich auf der Bank zusammen. Er hatte blasse Sommersprossen auf der Hühnerbrust.
Daysinger war der nächste, er machte eine Prozedur daraus, sein T-Shirt über den Schutzzaun zu werfen. Es blieb oben hängen, vier Meter hoch, und die Kinder auf dem Spielfeld johlten. Ein Zehnjähriger namens Michael Shoop - ein Tunichtgut in der Schule und totaler Versager auf dem Spielfeld - saß neben ihm, er knüllte sein graues T-Shirt zusammen und schaffe es, es neben dem von Daysinger auf dem Zaun zu plazieren. Es war der erste gute Wurf, den Dale den Jungen den ganzen Tag über hatte machen sehen.
Mike O'Rourke war der nächste. Er sah ein wenig mißfällig drein, zog das Hemd aber aus. Seine Haut war braun, die Muskeln unter der Haut deutlich ausgebildet.
Dale Stewart war der nächste. Er hatte schon die Mütze abgesetzt und nach dem Saum seines T-Shirts gegriffen, als ihm klar wurde, wer als nächstes kam. Er hielt einen Moment lang inne. Donna Lou war die letzte auf der Bank. Sie sah ihn nicht an; sie schien überhaupt nichts anzusehen. Sie trug schmutzige Turnschuhe, verblichene Jeans und ein weißes T-Shirt. Obwohl dieses T-Shirt weiter als die meisten anderen war, stellte Dale fest, daß er deutlich die Rundungen darunter sehen konnte. Donna Lous Körper hatte sich den Winter über entwickelt - vergangenen Sommer war das T-Shirt so straff und flach gewesen wie die aller anderen in der Mannschaft -, und ihre Brüste waren zwar nicht gerade Berge geworden, aber dennoch deutlich zu erkennen.
Dale zögerte einen Augenblick. Er wußte nicht genau, warum er zögerte - Donna Lous T-Shirt war Donna Lous Problem, oder nicht? -, aber er spürte auch, daß etwas nicht ganz richtig war. Er hatte die ganzen Jahre mit Mike und Kevin und Harlen und Lawrence und ihr Ball gespielt, nicht mit den anderen Knallköpfen auf dem Spielfeld oder der Reservebank.
»Wovor hast'n Angst?« rief Chuck Sperling, der auf dem Weg zum ersten Base gewesen war. »Haste was zu verbergen, Stewart?«
»Ja, komm schon!« rief Digger Taylor vom anderen Ende der Bank. »Wir sind die Ohnehemden, Stewart.«
»Halt die Klappe!« sagte Dale. Aber er konnte die Röte auf den Wangen und hinter den Ohren spüren. Teilweise um sie zu verbergen, zog er sein T-Shirt aus. Es war heiß, aber seine Haut fühlte sich kalt und klamm an. Er drehte sich um und sah Donna Lou Per-ry an.
Diese hatte sich endlich auch umgedreht und sah die anderen an. Lawrence, der sich in Bewegung gesetzt hatte, blieb am Ende der Bank stehen. Er bestand nur aus Rippen und Staub, seine Handgelenke und der Hals waren auf komische Weise dunkler als der Körper, und so stand er mit dem Schläger auf der Schulter da und runzelte die Stirn angesichts der plötzlichen Stille. Niemand auf dem Spielfeld gab einen Laut von sich. Auch auf der Bank waren alle still, und alle Köpfe waren Donna Lou
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