Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Sitzen, wo es noch Egg Cream gab oder die alten italienischen Bäckereien bei Carroll Garden, wo man für einen Dollar einen kopfgroßen Schokoladenkeks bekam. Sie sah sich von Fremden umgeben in der Kälte einen Kinderwagen die Court Street hinaufschieben.
Jetzt wandte Maggie sich Rhiannon zu und fragte ohne darüber nachzudenken: »Hast du damals überlegt, das Kind alleine großzuziehen?«
»Nein, keinen Augenblick«, sagte Rhiannon. »Deshalb halte ich deine Entscheidung auch für bewundernswert.«
»Oder geisteskrank«, sagte Maggie.
»Würdest du zu Gabe zurückgehen, sollte er dich darum bitten?«
»Ich weiß nicht«, sagte Maggie, obwohl sie ziemlich sicher war, dass sie es tun würde. »Ich habe viel in ihn investiert.«
»Das bringt dir in deiner Lage jetzt vielleicht nicht viel, aber ich bin sicher, dass du ohne ihn besser dran bist. Und glaub mir: Heiraten macht alles nur noch schlimmer. Man denkt, dass es die Risse kittet und die Wasserflecke abdeckt, wo was undicht war. Aber in Wirklichkeit passiert das Gegenteil.«
»Ich weiß«, sagte Maggie, obwohl auch sie manchmal geglaubt hatte, dass die Ehe alles richten würde. Überall in New York blitzten Eheringe an den Fingern von Männern ihres Alters. Sie sah sie in der U-Bahn, der Cafeteria und auf der Arbeit. Die Männer, die sie trugen, waren, als Gabe und Maggie sich kennenlernten, noch nicht bereit gewesen, sich zu binden, aber seitdem waren sie irgendeiner in die Falle gegangen. Jeder einzelne der Ringe erinnerte sie funkelnd an das, was sie nicht hatte.
Sie fand es selbst komisch, dass sie trotz dessen, was sie miterlebt hatte, unbedingt heiraten wollte. Der Drang danach musste Veranlagung zu sein. Und wann immer ein Erwachsener in ein Unglück verstrickt war – als ein Kollege ihres Vaters entlassen wurde, zum Beispiel, oder man bei einem Freund ihrer Mutter ein Lungenemphysem entdeckte – war ihre erste Frage: »Ist er verheiratet?« Als wäre das eine Absicherung und Garantie dafür, dass sich jemand immer liebevoll kümmern würde, anstatt einen dafür zu verachten, dass man seinen Job verloren oder trotz Flehens und Bittens immer weiter geraucht hatte.
Es war vielleicht nicht gerade emanzipiert, aber manchmal beneidete Maggie ihre Großmutter und die Frauen jener Generation darum, dass für sie Liebe, Ehe und Kinder selbstverständlich waren.
»Irgendwie liebe ich ihn trotz allem«, sagte sie.
»Hmm.« Rhiannon nickte. »Scheißliebe.«
»Ich glaube, dass das, nach dem wir uns sehnen, uns auch zerstören kann«, sagte Maggie.
»Oh, solche Theorien mag ich. Erzähl«, sagte Rhiannon.
Soweit sie sehen konnte, erklärte Maggie, war es das Verlangen, das einen Menschen zu dem machte, was er war und ihn glücklich machte oder seinen Ruin brachte. Dabei ging es nicht nur um Zwischenmenschliches. Es konnte auch das Verlangen nach einer bestimmten Sache oder Tätigkeit sein, etwas, das einen definiert. Ihre Mutter war dem Alkohol verfallen. Andere Leute tranken vielleicht ein oder zwei Gläser zum Abendessen, weil es ihnen schmeckte, aber Kathleen hatte dieses unstillbare Verlangen, und das hatte sie fast zerstört. Onkel Patrick und Tante Ann Marie waren versessen auf Status, Geld und ihre Wirkung auf andere, und das würde auch sie eines Tages kaputtmachen, wenn das nicht schon längst passiert war.
Maggie selbst hatte für Hochprozentiges wenig übrig, dennoch fürchtete sie den Alkohol, denn der Alkoholismus lag ihr im Blut. Auch Geld bedeutete ihr nichts. Solange es für ein Dach über dem Kopf und Schulgebühren reichte, solange sie davon ein Kind ernähren konnte, war sie zufrieden.
Maggies Schwäche waren schon immer die Männer gewesen. Wenn sie sich in jemanden verliebte, trieb sie das bis zur Verzweiflung. Sie wollte ihn ganz für sich haben, einen Kokon um ihn und sich flechten, um ihn zu beschützen, aber, was noch wichtiger war, um ihn fest an sich zu binden. Sie verlor dann jedes Interesse an der Arbeit und an ihren Freunden, auch, wenn sie es nicht zugeben wollte. Sie war eigentlich eine kontrollierte, vernünftige Person, aber wenn es um einen Mann ging, drehte sie durch. Gabe war nicht der erste. Vor ihm hatte es Martin gegeben, ein zweiundfünfzigjähriger Galerist, den sie während des Hauptstudiums in Manhattan bei einer Orientierungsveranstaltung für junge Berufstätige in der Branche kennengelernt hatte. Sie hatte ihm zusammen mit ihrem Lebenslauf ein paar Kurzgeschichten geschickt, und das erste, was er zu ihr
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