Sommer in Maine: Roman (German Edition)
sagte, war genau, was sie hören wollte: »Sie sind keine Galeristin. Sie sind Schriftstellerin.«
Er war gutaussehend und charmant und kannte die interessantesten Leute der Stadt. Am ersten Abend lud er sie zum Abendessen in ein schummriges Café in der West Village in Manhattan ein, das sie später oft gesucht, aber nie wiedergefunden hatte. Als er ihr an der Tür in den Mantel half, streiften seine langen Finger ihren Nacken. Sie fuhren in seine Wohnung, die für einen Mann seines Alters überraschend klein war, und liebten sich in seinem Bett. Er schien von ihrer Jugend überwältigt zu sein, strich ihr über Schenkel und Brüste und sagte immer wieder, dass sie die glatteste Haut habe, die er je berührt habe. Und sie fand, dass sein Alter, dass sich in seinen Lachfalten und der Kraft und Sicherheit seiner Hände zeigte, besser zu ihrer Persönlichkeit passte als die Collegejungs in Kenyon mit den aalglatten Gesichtern.
Nach der Uni zog sie zu ihm. Er besorgte ihr einen Job bei einem kleinen Literaturmagazin, das einem Freund gehörte. Das Verhältnis hielt ein Jahr. Als es vorbei war, fühlte sie sich leer und einsam und es dauerte nicht lange, da traf sie Chad Patterson aus Wisconsin. Er war zwei Jahre jünger als sie und nach New York gekommen, um Schauspieler zu werden. Er übernachtete mal bei diesem, mal bei jenem Freund, und weil sie es nicht ertrug, alleine zu schlafen, bot sie ihm an, auf Dauer in ihrer neuen Einraumwohnung unterzukommen. Das Desaster war vorprogrammiert, und es war tatsächlich bald aus zwischen ihnen, obwohl Chad noch drei Monate nach der Trennung auf ihrem Sofa schlief. Sie schaffte es erst, ihn hinauszuwerfen, nachdem sie ihn eines späten Abends in den Armen irgendeiner langbeinigen Blondine fand, die er bei der zweiten Castingrunde für die Besetzung von Baby with the Bathwater kennengelernt hatte.
Sie hatte daran in der Therapie gearbeitet und über Co-Abhängigkeit gelesen, was sie finden konnte, aber an ihrem Verhältnis zu Männern änderte sich nichts. Es war Teil ihrer Persönlichkeit. Wie konnte man so etwas ändern? Manchmal bekam sie bei den Sitzungen mit ihrer Therapeutin den Eindruck, dass es unmöglich war, an sich zu arbeiten: Ihre Familie, und damit auch sie, war ein Haufen Trinker und emotionaler Krüppel, die unfähig waren, irgendwem irgendetwas zu verzeihen. Und manchmal dachte sie auch, dass es sich nur für Unsterbliche lohne, an sich zu arbeiten. Denn wofür genau machte man sich überhaupt die Mühe?
Mittags hielten sie an einer Raststätte. Maggie hätte schwören können, mit ihrer Familie schon hundertmal hier gewesen zu sein, aber als Beifahrer konnte man in Massachusetts keine Raststätte von der anderen unterscheiden. Diese Orte hatten den gleichen Geruch nach Desinfektionsmittel, dieselben gelangweilt dreinblickenden Angestellten, dieselben ordentlichen Parkplätze und Tankstellen. Seltsam, dass diese Raststätten, die im Vergleich zu New York und Cape Neddick ganz besonders hässlich wirkten, den Weg vom einem zum anderen markierten.
Während sie zwei riesige Pizzen aßen, beobachteten sie die ein- und ausgehenden Gäste. Maggie dachte an das Kind, dass sie in sich trug, fand es aber schwer, es sich als Person vorzustellen. Sie war auf einer Website gewesen, nach der Schwangere ganz verrückt zu sein schienen, weil sie einem wöchentlich anzeigte, welchem Lebensmittel der Embryo momentan am meisten ähnelte: Ihr Kind ist eine Kichererbse , hatte sie vor zwei Wochen gelesen und vor ein paar Tagen dann: Ihr Kind ist eine Walnuss .
Nach dem Essen übergab Maggie sich sofort. Das vierte Mal in zwei Tagen. Wieso sprach man von morgendlicher Übelkeit, wenn es einen doch jederzeit treffen konnte?
Im Auto fragte Rhiannon: »Du und deine Großmutter seid dann also alleine im Haus?«
»Ja«, sagte Maggie. »Also jeder ist in einem Haus, aber auf demselben Grundstück.«
»Richtig beengte Verhältnisse.«
Maggie grinste. »Ja, nicht wahr? Naja, wir sind halt eine große katholische irische Familie, und da brauchen wir theoretisch viel Platz.«
»Ich finde es interessant, dass ihr euch als Iren betrachtet. Warum wollen Amerikaner immer unbedingt von woanders herkommen?«, fragte Rhiannon.
Damit hatte sie nicht ganz Unrecht. Maggies Großeltern, Tante Ann Marie und Onkel Pat waren von der Idee ihrer irischen Wurzeln wie besessen, aber eigentlich fühlten sich alle Kellehers mit dem Land, seiner Geschichte, seiner Musik und Tänze und der traurigen
Weitere Kostenlose Bücher