Sommer in Maine: Roman (German Edition)
eine perfekte Ehefrau sein: Heiter und häuslich. So, wie Mary gewesen wäre. Der Haushalt lief gut und sie übernahm immer mehr Verantwortung in der Kirchengemeinde, nur ihre Stimmungsschwankungen bekam sie nicht in den Griff.
An seinem ersten Samstagmorgen zurück in Canton stand sie bügelnd im Wohnzimmer und hörte dieselbe Radioseifenoper, derentwegen sie sich früher über ihre Mutter lustig gemacht hatte. Daniel saß zeitunglesend im Sessel.
»Mensch, prima«, sagte er. »Es ist genau so, wie ich es mir immer erträumt habe.«
Sie hatte sich auf seine Heimkehr gefreut, aber jetzt traten ihr die Tränen in die Augen. Sie versuchte, sie schnell zu unterdrücken, aber die Gedanken an all das, was sie verloren hatte, blieben.
»Oh je, hab ich was Falsches gesagt?«, fragte Daniel.
»Nein. Entschuldige. Ich bin heute einfach ein bisschen traurig.«
»Du hast viel durchgemacht«, sagte er, während er aufstand, zu ihr kam und sie in den Arm nahm. »Deine Schwester, die Fehlgeburten. Und es war wohl auch nicht gerade hilfreich, dass dein Mann fast nie da war. Es wird eine Weile dauern. Aber jetzt ist der Krieg vorbei und alles wird besser, du wirst schon sehen.«
»Ja, ich weiß«, sagte sie. Was hätte sie auch sonst sagen sollen?
Zu Beginn der Ehe bestand ein Ausgehabend für Daniel darin, mit seinen Brüdern und deren langweiligen Frauen zum Baseball zu gehen oder die Kinder ins Auto zu packen und eine gefühlte Ewigkeit irgendwo hinzufahren, obwohl Kathleen dann jammerte und Clare sich jedes Mal übergeben musste.
Dabei bemühte er sich wirklich, es Alice recht zu machen, aber seine hilflosen Versuche taten ihr mehr weh, als sie ihr Freude machten. Manchmal gingen sie tanzen oder auf eine Party, und sie unterhielt sich ein paar Stunden lang ausgezeichnet. Aber danach kam das schlechte Gewissen, wenn sie sich daran erinnerte, dass ihre Schwester Abende wie diesen nie wieder würde erleben können.
Als sie mit Patrick im achten Monat schwanger war, führte Daniel sie eines Abends in Maine zum Essen aus, während seine Schwester im Sommerhaus bei den Mädchen blieb. Nach dem Essen sagte er etwas von einer Überraschung und fuhr zum Cliff Country Club hinaus, auf dessen Parkplatz sich eine Menschenmenge angesammelt hatte.
»Was ist denn hier los?«, fragte sie.
»Das ist der Künstlerball«, sagte er mit einem großen Lächeln. »Mort und Ruby haben mir davon erzählt. Es ist ein Wohltätigkeitsball für bedürftige Kunststudenten. Soll ein echter Knüller sein.«
Daniel hatte ihren Traum vom Malen nicht vergessen und erwähnte es peinlich oft gegenüber Freunden und Kollegen, aber auch Fremden. Jedes Jahr versuchte er sie dazu zu bringen, sich in der Akademie an der Perkins Bucht für einen Kurs anzumelden.
»Ein Ball?«, sagte Alice. »Aber ich bin gar nicht angemessen gekleidet.«
»Nein, nein. Es ist ein Maskenball«, sagte er. »Außerdem gehen wir gar nicht rein. Aber wir können die Künstlerparade sehen. Das findet hier jedes Jahr statt, aber ich hab noch nie davon gehört. Du?«
Sie verneinte, obwohl sie die Plakate in der Stadt gesehen hatte und gehört hatte, dass es für Sommergäste fast unmöglich war reinzukommen. Auf den Plakaten hatte auch der Eintrittspreis gestanden: Zwei Dollar und vierzig Cents. Herb Pomeroys Sextett sollte spielen, und es gab Cocktails. Es klang paradiesisch.
»Ich will nach Hause«, sagte sie. »Es geht mir nicht gut.«
»Aber Schatz!«, sagte er. »Ich dachte, du würdest dich freuen. Alles echte Künstler!«
Also stiegen sie aus, stellten sich zu den jämmerlichen Zuschauern und glotzen wie sie, als kämen gleich Hollywoodstars vorbei. Und da waren sie auch schon, die als Piraten, Feen und Riesenbabys verkleideten, fröhlich lachenden echten Künstler . Sie würden sich heute Abend blendend amüsieren und danach sicherlich noch ein paar Erholungstage in Maine dranhängen, bevor sie wieder in die weite Welt hinausgingen. Und hier stand Alice, mit einem runden Bauch und wenige Kilometer weiter zwei Kindern im Bett, die darauf lauerten, dass sie endlich wieder nach Hause kam.
In den frühen Sechzigern wurde die Perkins Bucht ausgebaggert, damit größere Boote einfahren konnten. Dabei stellten sie fest, dass der Kies am Boden der Bucht goldhaltig war, und es kam zu einem kurzen Goldrausch in Ogunquit. Wo vorher alte Fischerhütten die Bucht geziert hatten stand danach ein riesiges Parkhaus. Die Künstlerkolonie löste sich langsam auf, und obwohl die anderen
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