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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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sie.
    »Dafür, dass du mich absolut widerstehlich gefunden hast. Das hat mir das Leben gerettet.«
    Sie bemühte sich um ein kleines Lächeln.
    »Deine Schwester hat gewusst, dass du sie liebst«, sagte er.
    »Woher willst du das wissen?«
    »Weil das bei Schwestern eben so ist. Dich trifft keine Schuld.«
    »Wie kommst du auf die Idee, dass ich –«, begann sie, doch dann kamen ihr die Tränen.
    »Du musst den Streit vor ihrem Tod aus deiner Erinnerung löschen«, sagte er, »als hätte er nie stattgefunden.«
    »Aber es ist ja nicht nur der Streit«, sagte sie.
    Sie wollte ihm erzählen, was noch passiert war, aber sie brachte es einfach nicht heraus. Sie brauchte jemanden an ihrer Seite, doch wenn sie ihm die Wahrheit sagte, würde er ganz bestimmt nicht bei ihr bleiben.
    »Ich hätte da drinnen zertrampelt werden sollen, nicht sie«, brachte sie unter Tränen hervor.
    »Nein«, sagte Daniel.
    »Ich habe sie umgebracht.«
    »Jetzt hör mir mal zu«, sprach Daniel in einem entschlossenen Ton, den sie von ihm nicht erwartet hatte. »Das war ein furchtbarer Unfall. In der ganzen Stadt fragen sich die Leute, was sie hätten tun können, hätten tun sollen. Aber es ist nicht deine Schuld.«
    Alice schniefte. »Danke.«
    »Komm, wir gehen wieder rein«, sagte er.
    Sie fragte sich, ob sie diesen Mann nicht vielleicht doch lieben lernen könnte, diesen Mann, der zwar unendlich warmherzig war, aber in ihren Augen nicht als richtiger Mann gelten konnte. Jedenfalls war er nicht der, den sie sich an ihrer Seite vorgestellt hatte. Er würde ihr im besten Fall das gewöhnliche Leben bieten können, das sie so fürchtete. Und obwohl das nur wenig besser klang, als bei ihren Eltern zu bleiben, war es doch immerhin etwas. Die Worte ihrer Tante gingen ihr durch den Kopf: Du wirst dich um deine Eltern kümmern. Es ist Zeit, dass du erwachsen wirst.
    Vielleicht hatte Gott ihr das schon die ganze Zeit sagen wollen, aber sie hatte ja nicht zugehört, wenn ihre Mutter sie ermahnte, sich nicht so wichtig zu nehmen. Sie hatte die Liebesbeziehung ihrer Schwester im Licht ihres eigenen Glücks gesehen, und hatte es fertiggebracht, sogar hier nur an sich zu denken. Und jetzt hatte ihr Gott die Schwester genommen. Das war nun die Strafe.
    Als Daniel sie jetzt in den Arm nahm, ließ sie sich einfach fallen.
    Die Hochzeit fand ein halbes Jahr später statt. Man hatte Daniels Urlaubsgesuch stattgegeben, und er konnte nach der Feier eine Woche mit Alice verbringen. Sie bezogen ihr erstes eigenes Häuschen in Canton und verbrachten die Flitterwochen mit dem Auspacken von Kisten und hörten sechs Tage lang eine Tommy-Dorsey-Schallplatte nach der anderen, bis Daniel schließlich wieder an Bord gehen musste.
    Daniel wollte immer nur reden und fast jede Nacht mit ihr schlafen, aber Alice hätte am liebsten jede Berührung vermieden. Er wollte sogar wissen, wie sie es mochte. Von Rita wusste sie, dass es etwas ganz Besonderes war, wenn ein Mann sich für diese Bedürfnisse seiner Frau interessierte. Aber selbst, wenn sie gewusst hätte, was sie sich wünschte: Alice konnte sich nicht vorstellen, derartige Dinge auszusprechen. Konnte das denn richtig sein, dieses Schwitzen und Kleben? War es nicht unchristlich? Schmerzhaft war es nicht, zumindest nicht nach den ersten paar Malen. Aber es war auch nicht mit dem Genuss eines heißen Bades zu vergleichen. Als er am Ende der Woche abreisen musste, war sie ein wenig erleichtert. Zu dem Zeitpunkt war sie schon schwanger, allerdings nicht lange.
    Sie trat der örtlichen Gemeinde von St. Agnes bei und machte die Bekanntschaft anderer Kriegsbräute. Sie trafen sich jeden Donnerstag und beteten für die sichere Heimkehr ihrer Männer und für die Unglücklichen, die ihre Männer schon verloren hatten.
    Der Krieg dauerte noch zwei weitere Jahre an. Alice tat ihre Pflicht: Donnerstagmorgens brachte sie das beim Braten übriggebliebene Fett zum Fleischer, tauschte Lebensmittelmarken für Butter, Zucker und Kaffee mit den Frauen der Nachbarschaft, stopfte Strumpfhosen mit größter Sorgfalt, die am Knie schon durchhingen und sich am Hacken sammelten, und schloss, bevor sie abends das Licht anknipste, vorsorglich die Vorhänge, damit ja kein deutsches U-Boot die Schiffe im Hafen erwischte, von dem sie allerdings mehrere Kilometer entfernt wohnte.
    Sie trug ständig eine Verzweiflung mit sich herum, die sie körperlich hinabzuziehen schien und erschöpfte. Niemand schien zu bemerken, dass ihr der Gedanke an Daniels

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