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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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ihre Familien nie wiedersahen. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter in die Hölle kam. Sie wollte nicht, dass ihr Vater bei einer anderen Frau war. Sie wollte nicht auf der Straße leben. Aber jetzt musste sie sich wie eine Erwachsene verhalten. Sie lief zu ihrer Mutter hin, warf sich ihr in die Arme und vergrub das Gesicht in ihrem dicken Pullover.
    »Hey, das wird schon«, sagte Kathleen. »Wir haben doch einander, Süße. Außerdem ist Opa auch noch da. Der passt schon auf uns auf.«
    Im Herbst des Folgejahres wurde es langsam besser. Maggies Vater zahlte Unterhalt und sie konnten sich ein kleines Haus in Braintree leisten. Ihre Mutter trat den Anonymen Alkoholikern bei und entschuldigte sich bei Maggie. Sie habe ihr zu viel aufgebürdet und sie wie eine Erwachsene behandelt, obwohl sie doch noch ein kleines Mädchen sei.
    »Du hast mich gar nicht wie eine Erwachsene behandelt«, antwortete Maggie, weil sie spürte, dass Kathleen das hören wollte.
    »Oh doch«, sagte ihre Mutter. »Du bist mein kleines Schneckchen, und trotzdem eben auch meine Freundin. Aber ich hätte vor dir nicht trinken dürfen. Ich erinnere mich noch genau, wie grässlich es für mich als Kind war, wenn meine Mutter trank.«
    »Und wann hat sie damit aufgehört?«, fragte Maggie.
    »Als ich elf war«, sagte ihre Mutter. »Etwa so alt, wie du jetzt. Mein Vater hatte ihr damit gedroht, sie zu verlassen, wenn sie nicht mit dem Trinken aufhört.«
    »Und wieso?«, fragte Maggie.
    »Weil sie schlimme Sachen gemacht hat«, sagte Kathleen. »Wenn ich wegen eines Albtraums nachts zu weinen anfing, schüttelte sie mich und befahl mir, weiterzuschlafen. Sie sagte, sonst würden mich die Kobolde holen. Und einmal ist sie mit mir, Tante Clare und Onkel Patrick im Auto gegen einen Baum gefahren.«
    »Ist Oma auch zu den Anonymen Alkoholikern gegangen?«, fragte Maggie.
    »Nein, meine Süße«, sagte ihre Mutter. »Das ist nicht ihr Ding.«
    »Und als sie mit dem Trinken aufgehört hat, hat sie dann auch aufgehört, schlimme Sachen zu machen?«, wollte Maggie wissen.
    »Tja, was meinst denn du?«, hatte ihre Mutter mit einem Augenzwinkern gesagt.
    Zwei Wochen vergingen ohne eine Nachricht von Gabe. Sie hatte ihn ja gebeten, sie erstmal in Ruhe zu lassen, aber vielleicht war es ihr damit so ernst nicht gewesen. Wie ironisch, dass dies ihre erste Bitte sein sollte, der er nachkam.
    Maggie vertrieb sich die Zeit mit Lesen, Schreiben und zwischendurch mit einem Essen in Gesellschaft von Alice und Pfarrer Donnelly – also Connor. Sie ging oft zum Strand runter, aber zum Baden war es noch zu kalt. Und sie telefonierte von Alices Festnetzanschluss regelmäßig mit Kathleen und ihrer Freundin Allegra, um ihre Stimmen zu hören.
    Sie machte täglich stundenlange Spaziergänge, damit sie abends müde genug war, um schlafen zu können. Eines Nachmittags war sie die Shore Road entlangspaziert, vorbei am Cape Neddick Hummerrestaurant, Connors Kirche und einer Brücke, von der Angler ihre Leinen auswarfen. Sie lief immer weiter und kam schließlich in das acht Kilometer entfernt gelegene York Beach, einem etwas verwahrlosten, aber bunten Städtchen: Vor den Läden flatterten T-Shirts und überall sah sie Filmplakate und die rot-weiß-karierten Plastiktischdecken der Fischrestaurants. Sie kam bei einem Tätowierer, einem Schokoladengeschäft und einem Tarotzentrum vorbei, dann weiter an einem Waschsalon und Goldenrod Süßwaren, wo man einem Confiseur bei der Herstellung von Sahnebonbons zusehen konnte. Und weil die Kelleherkinder das in York Beach immer gemacht hatten, marschierte sie, wie von einer fremden Kraft gelenkt, schnurstracks in die Spielhalle und nahm sich den Skeeballautomaten vor. Die gewonnenen Spieltickets ließ sie als lange, gezackte Zunge aus der Maschine hängen – das nächste Kind würde sich freuen. Maggie ging nach Hause, ohne mit jemandem ein Wort gewechselt zu haben.
    Normalerweise wirkte die Meeresluft besser als die stärkste Schlaftablette, aber jetzt ging es ihr wieder wie in den Monaten nach der Trennung ihrer Eltern, und sie lag lange grübelnd wach.
    Maggie versuchte, sich nachts mit Arbeit abzulenken, schrieb ein paar Datingprofile, nahm den Auftrag einer Zeitschrift für einen Artikel darüber an, wie man in zehn einfachen Schritten den Hüftspeck loswurde, und durchsuchte die Nachrichten nach grausamen Morden, um sie ihrer Chefin für Bis dass dein Tod uns scheidet zuzuspielen. Aber irgendwann verbrachte sie mehr und mehr Zeit auf

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