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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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schloss sie die Augen und lauschte den Wellen draußen vor dem Fenster.
    Die nächsten vier Tage vergingen mehr oder weniger angenehm. Sie ging zum Cliff House und machte sich für Regina Notizen zum Huhn (ausgezeichnet), Rind (ein bisschen zäh) und den Krabben (der absolute Favorit). Sie kochte viel und fror einiges ein, das sich ihre Schwiegermutter später im Sommer auftauen könnte. Sie ging am Strand joggen, half Alice im Garten und plauderte mit ihrer Nichte, die immer so erschöpft wirkte – wegen der Trennung, vermutete Ann Marie. Es war eine komische Konstellation, mit der Ann Marie überhaupt nicht gerechnet hatte, aber so war das Leben. Der Juni neigte sich schon dem Ende, und Maggie würde bald nach New York zurückfahren. Und dann wäre Pat auch schon da. Und Steve Brewer.
    Am Morgen des fünften Tages schrak Ann Marie aus dem Schlaf hoch. Von unten kam das Geräusch des Küchenabfallzerkleinerers und Alices Stimme, die im Erdgeschoss mit jemandem zu sprechen schien. Es war sechs Uhr dreißig.
    Alice klang hellwach und fröhlich.
    »Ja, genau das meine ich«, hörte Ann Marie sie sagen. »Vielleicht hat einer der Kleinen eine Murmel reingeschmissen.«
    »Eine Murmel?«, fragte eine Männerstimme belustigt.
    Ann Marie setzte sich kerzengerade auf und spitzte die Ohren. Wer war das? Ihr Herz raste. Vielleicht hatte Alice ahnungslos einen Psychopathen ins Haus gelassen, der sich als Klempner verkleidet hatte. Jetzt würde er sie und Alice mit der Rohrzange erschlagen und sich mit dem Schmuck davonmachen.
    Sie zog sich den Bademantel über und ging hinunter.
    »Mama?«, sagte sie zu Alices Rücken. Ihre Schwiegermutter und der Mann drehten sich erschrocken um. Sie sahen aus wie zwei Jugendliche, die man beim Knutschen erwischt hat.
    »Guten Morgen, meine Liebe«, rief Alice beschwingt. Sie trug eine schwarze Caprihose, flache Lederschuhe und einen kurzärmeligen roten Pullover, den Ann Marie mit ihr vor ein paar Monaten beim Ausverkauf bei Eileen Fischer erstanden hatte. Sie hatte sich sorgfältig geschminkt.
    »Du erinnerst dich an Pfarrer Donnelly?«
    »Aber natürlich«, sagte Ann Marie und zwang sich zu einem Lächeln. Da stand er, abgesehen von dem Kollar ganz in schwarz, und sah wie ein Zwölfjähriger aus. Das war eines der vielen Dinge, die sie am Altwerden irritierten: Es konnte tatsächlich vorkommen, dass sie einem Priester begegnete, der ihr Sohn sein könnte.
    »Wie geht es Ihnen, Herr Pfarrer?«
    »Ausgezeichnet, vielen Dank. Wir haben Sie doch nicht geweckt?«
    »Nein, nein«, sagte sie und ging zur Kaffeemaschine.
    »Ich hatte Ihrer Schwiegermutter versprochen, mir mal diese Spüle anzuschauen«, sagte er. »Um neun Uhr ist Messe, und wir dachten uns: Je früher, desto besser.«
    »Er ist handwerklich äußerst geschickt«, sagte Alice strahlend.
    Ann Marie nickte: »Ach tatsächlich? Das ist aber wirklich nicht nötig. Pat bringt das schon in Ordnung. Er ist ja in ein paar Tagen hier.«
    »Das ist überhaupt kein Problem«, sagte Pfarrer Donnelly. »Es ist doch wirklich das Mindeste.«
    Früher hatte Ann Maries Mutter den jeweiligen Gemeindepfarrer einmal im Monat zum Sonntagsessen eingeladen. Dann gab es einen großen Braten mit Stampfkartoffeln und zum Nachtisch Ananastorte. Ann Marie hatte diese Tradition viele Jahre lang weitergeführt. Sie kannte viele Frauen, die sich um Priester kümmerten und ihnen die Wärme boten, die ein verheirateter Mann normalerweise von seiner Frau bekam. Aber wer, wenn nicht Alice, brachte es fertig, den Spieß umzudrehen und einen Pfarrer für sich arbeiten zu lassen?
    Die beiden machten sich schon bald auf den Weg zur Kirche, und Ann Marie fiel auf, dass Alice ihr Auto stehen ließ. Stand Pfarrer Donnelly etwa auch als Chauffeur zur Verfügung?
    Als sie gegangen waren, machte Ann Marie sich an die Küche, scheuerte die Arbeitsflächen und wischte den Fußboden. Dann machte sie aus einem Brathähnchen, das sie am Abend zuvor im Tiefkühler gefunden hatte und von dem kaum ein Bissen fehlte, einen Geflügelsalat (Alice kochte nach wie vor für eine Großfamilie, aber aß wie ein Spatz. Ann Marie kannte das gut, aber sie saß mit Pat wenigstens zu zweit am Tisch, und das war nicht ganz so betrüblich.)
    Nachdem sie geduscht und sich angezogen hatte, richtete sie sich am Küchentisch ein. Sie zog ein großes weißes Handtuch und ein dünnes hellrosa Seidenband aus einer der Taschen, schnitt ein halbes Dutzend winziger Waschlappen und Handtücher zurecht und

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