Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Großzügigkeit Ihrer Familie für die Gemeinde bedeutet«, sagte er. »Sie sichern unsere Zukunft, und das ist heutzutage ein großes Geschenk.«
Ann Marie lächelte. Wovon redete er nur? Hatte Alice St. Michael eine größere Geldspende gemacht? Der Gedanke gefiel ihr nicht, und sie fragte sich, ob Pat wohl davon wusste. Als sie einen Krug vom obersten Regal in der Speisekammer nahm, fiel ihr auf, dass hier viel weniger Geschirr stand, als sie in Erinnerung hatte. Wie schön, dass Alice endlich ihrem Rat gefolgt war und ein bisschen ausgemistet hatte.
Ann Marie nahm eine Eiswürfelschale aus dem Eisfach, schlug sie auf die Arbeitsfläche und ließ die Hälfte der Eiswürfel in den Krug plumpsen. Dann stellte sie ihn in die Spüle.
»Kann ich das Wasser kurz anmachen?«, fragte sie.
»Ja, kein Problem.« Der Pfarrer kam unter der Spüle hervorgekrochen und stand auf. »Leider fehlt mir das Ersatzteil. Aber vielleicht haben sie es im Baumarkt in York am Lager. Ich könnte nach meinem Termin nochmal wiederkommen.«
Drei Besuche an einem Tag? Ann Marie schickte ein stilles Stoßgebet gen Himmel, dass Alice nicht das Erbe der Enkel verschenkt haben möge.
»Woher haben Sie nur Ihr handwerkliches Geschick?«, fragte sie, füllte den Krug und stellte ihn zwischen den Teller mit den Tomaten und Zwiebeln und die Schüssel mit dem Geflügelsalat. Dann nahm sie die Croissants aus dem Ofen.
»Das lernt man schnell, wenn man in einem Pfarrhaus wohnt, dessen ehemaliger Bewohner, wenn es durchs Dach regnete, zum Baumarkt gefahren ist, um mehr Eimer zu kaufen.«
Ann Marie zwang sich zu einem Lachen.
»Sie können sich vorstellen, was für eine Verbesserung der Umzug in dieses Haus für uns bedeutet.«
Plötzlich raste Ann Maries Herz: »Wie bitte?«
Ihr kam eine unglaubliche Idee: Hatte der Pfarrer etwa ein Verhältnis mit Alice? Das wäre nun wirklich unerträglich. Aber nein. Ihre Schwiegermutter flirtete zwar gern, aber sie war nie körperlich geworden.
Der Pfarrer wurde rot: »Ich muss mich entschuldigen. Das hätte ich nicht sagen sollen. Wir hoffen natürlich – nein, wir wissen – dass wir bis dahin noch viele schöne Jahre mit Alice haben. Aber allein im Testament bedacht worden zu sein, ist für uns schon ein großes Geschenk. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, wie großzügig Ihre Familie ist und wie dankbar wir Ihnen sind.«
»Gern geschehen«, sagte Ann Marie und dachte angestrengt nach. »Sie meinen also –«
Alice hatte doch nicht etwa ihr Zuhause weggeben? Sie durfte sich ihre Verwirrung jetzt nicht anmerken lassen, aber der Pfarrer musste ihren erschrockenen Gesichtsausdruck bemerkt haben.
Er hob eine Augenbraue: »Sie hören das jetzt hoffentlich nicht zum ersten Mal.«
Haltung , dachte sie. Manchmal half die Konzentration auf ein einziges Wort. Haltung .
»Ist schon gut«, sagte sie. »Ich bin sicher, dass –«, aber dann fehlten ihr die Worte.
»Es tut mir leid«, stammelte er. »Alice wollte es Ihnen bestimmt persönlich sagen. Ich muss das durcheinandergebracht haben. Ich dachte, dass es eine Entscheidung der ganzen Familie gewesen sei.«
Sie setzte ein verkrampftes Lächeln auf. »Beruhigen Sie sich«, sagte sie. »Alles kein Problem.«
Ann Marie bekam keine Luft mehr. Sie musste hier weg. Sie musste mit Pat sprechen.
»Geflügelsalat!«, sagte sie lauter als vorgesehen. »Da muss doch Chilipulver dazu.«
»Chilipulver?«
»Aber natürlich! Schauen Sie sich nur dieses fade Etwas an. Normalerweise mache ich Weintrauben rein, aber ich hab keine. Chilipulver ist die Idee! Ich muss zum alten Sommerhaus rüber. Ich glaube, da steht welches. Sowas steht da immer irgendwo rum. Also dann.«
Bevor er reagieren konnte, war sie schon durch die Tür und ging schnurstracks auf ihren Mercedes zu, der einzige Ort, an dem sie vernünftigen Empfang hatte.
Ihre Wut überraschte sie selbst. Sie dachte an das viele Geld, das sie der Neubau gekostet hatte, an die hohen laufenden Kosten, an die vielen Wintertage, an denen ihr Mann extra hergefahren war, um das Verandadach freizuschaufeln, an die vielen Stunden, die sie beide dem Haus gewidmet hatten und die unzähligen Male, die sie sich auf die Zunge gebissen hatte, um Frieden zu wahren. Und so wollte ihre Schwiegermutter sie nun belohnen?
Gott gibt uns nicht größere Aufgaben, als wir bewältigen können , rief sie sich in Erinnerung. Trotzdem fühlte sie sich einem Nervenzusammenbruch nahe.
Sie rief Pat auf dem Handy an, anstatt es bei
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