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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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geführt hatte und zu bahnbrechenden Entwicklungen in der Behandlung von Brandverletzungen? Dass es seitdem in ganz Boston keine Tür mehr gab, die sich nach innen öffnete und keine Drehtüren, die nicht von zwei normalen flankiert waren? Dass ihr Blick sich nicht in einem Raum voller Menschen mit dem ihres Mannes getroffen und sie sich im selben Augenblick unsterblich in ihn verliebt hatte, sondern er für sie nichts als ein Fluchtweg gewesen war? Dass Alices Dickköpfigkeit und ihre Wut, zwei Dinge, die sie trotz allem bis heute nicht im Griff hatte, ihrer Schwester das Leben gekostet hatten?
    »Nein«, antwortete sie.
    »Das könnte Ihnen helfen«, sagte er. »Ich bin sicher, dass sie bestätigen würden, was ich Ihnen schon gesagt habe.«
    Vielleicht hatte er sie nicht richtig verstanden. Er war ja so jung – er könnte ihr Enkel sein. Ja, vielleicht lag es daran. Er war zwar Priester, aber eben nicht von der alten Garde. Er glaubte nicht ans Fegefeuer. Wahrscheinlich glaubte er nicht einmal an die Hölle. Alice brauchte einen härteren Priester. Einen, der mit Stahlwolle auf ihre Sünden losging und schrubbte, bis sie blutete.
    »Ich habe meine Schwester ermordet«, sagte sie.
    »Nein, Alice!« Er atmete tief durch. »Da ist etwas, über das Sie mal nachdenken sollten. Bei unserem Treffen bei Ihnen in Canton im letzten Winter haben Sie mir erzählt, dass Sie vor dem Tod ihrer Schwester nicht hatten heiraten wollen und keine Kinder haben wollten.«
    Sie erinnerte sich an Kathleens Worte vom Vortag: Du warst kein großes Talent … ein dummer Kindertraum . So etwas Ähnliches hatte Daniel bei ihrem ersten Treffen auch gesagt.
    Der Pfarrer fuhr fort: »Der Tod Ihrer Schwester war ein schwerer Verlust. Aber bedenken Sie doch, wie viel Freude und wie viel Leben daraus entstanden ist. Und all das Ihretwegen.«
    Dieses süße Geplauder gefiel ihr nicht. Wenn sie eine Bestätigung dafür hätte haben wollen, dass sie ein wertvoller, guter Mensch war, würde sie es wie Kathleen machen und professionelle Cheerleader anheuern. Dafür brauchte sie keinen Priester.
    »Nach ihrem Tod habe ich Gott geschworen, mich zu bessern. Ich habe meine kindischen Träume aufgegeben und versucht, Mary zuliebe zu tun, was sie getan hätte. Aber ich habe versagt. Meine Kinder respektieren mich nicht. Sie glauben nicht einmal an Gott. Ich hätte damals sterben sollen, nicht Mary.«
    »Sie sind zu streng mit sich«, meinte der Pfarrer.
    »Ich suche keinen Trost«, sagte sie.
    »Was suchen Sie dann?«
    »Ich wünsche mir, vor meinem Tod irgendwie noch den Stand der Gnade zu erreichen«, sagte sie, »um im Jenseits meinen Mann und meine Schwester wiederzusehen.«
    Er schüttelte den Kopf: »Ich kann Ihnen auf der Stelle Ablass erteilen, wenn Ihnen das hilft. Aber dafür müssen Sie doch nicht den Familienbesitz weggeben.«
    »Ablass gewinnt man, wenn man sich oder seine Besitztümer Bedürftigeren zur Verfügung stellt«, fuhr sie ihn an, als wäre er eines ihrer Kinder. »Sie können ihn mir nicht einfach so erteilen.«
    »Alice. Wenn das Motiv Ihrer Spende Schuldgefühle sind, kann ich sie nicht in gutem Glauben annehmen. Das muss Ihnen doch klar sein.«
    »Ich tue das nicht aus Schuldgefühl«, erwiderte sie. »Ihnen das Anwesen zu vererben ist meine letzte Chance, etwas Sinnvolles zu tun. Für alles andere ist es zu spät.«
    Sie dachte an St. Agnes, ihre gemütliche alte Kirche in Canton, die im Herbst der Abrissbirne zum Opfer fallen würde. Wie hatte sie das zulassen können? Seit den Monaten und Jahren, die auf Marys Tod folgten, hatte sie nicht mehr so viele schlaflose Nächte mit der Frage verbracht, wie ihr etwas so Heißgeliebtes zwischen den Fingern hatte zerrinnen können.
    »Das Anwesen ist mein Eigentum«, sagte sie ernst. »Die hysterische Reaktion gewisser Personen, die sie gestern miterlebt haben, ändert nichts an der Tatsache, dass niemand das Grundstück mehr liebt als ich. Aber lassen Sie mich eins klarstellen: Ich würde die Häuser ohne mit der Wimper zu zucken hier und jetzt in Grund und Asche legen, wenn ich St. Michael dadurch retten könnte. Ohne die Kirche hätte ich es nicht geschafft. Ich will mir eine Welt, in der es für die Menschen solche Institutionen nicht gibt, gar nicht vorstellen.«
    Er nickte: »Verstehe. Ich will nur sichergehen, dass Ihre Spende aus den richtigen Motiven zustande kommt.«
    »Es ist geschehen und wird nicht rückgängig gemacht werden«, sagte sie. »Ich habe alle Argumente

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