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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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Fünfzig-Zoll-Bildschirm, der im Regal Staub fängt.
    In Zeiten der Trauer und des Verlustes suchten die Frauen der Familie bei den Männern Schutz. Vielleicht, weil die in ihren Anzügen so unerschütterlich aussahen. Die Männer ließen ihre Frauen und Töchter vor der Kirche aussteigen, um ihnen den Fußweg vom Parkplatz zu ersparen, und trugen den Sarg vom Leichenwagen die Treppe hinauf. Aber letztendlich waren es doch die Frauen, die die Welt wieder in die Angeln hoben.
    Der Chor sang das Ave Maria, während die Gaben zum Altar gebracht wurden. Alle hatten geweint. Es war eines jener Lieder, das alte Erinnerungen hervorbrachte und einem das eigene Leben als einen Zusammenschnitt der Menschen vorführte, die einen am tiefsten berührt hatten und jetzt nicht mehr da waren. Ihre Mutter weinte wahrscheinlich, weil sie jetzt ja eine Art Waise war.
    Maggie weinte um Daniel, aber auch aus Angst davor, einst Kathleen zu verlieren. Sie weinte auch, weil Kathleen und sie sich vermutlich nie ganz verstehen würden, obwohl ihre Liebe zueinander so stark war, dass sie Maggie oft zu ersticken drohte.
    Später stand die Trauergemeinde um den mit einer amerikanischen Flagge bedeckten Sarg. Niemand rührte sich oder gab einen Laut von sich, während zwei uniformierte Soldaten auf einem Ghettoblaster das kurze Trompetensignal abspielten und dabei die Flagge mit exakten Bewegungen in immer kleinere Dreiecke zusammenlegten. Einer der beiden reichte es Alice mit den Worten: »Im Namen einer dankbaren Nation überreiche ich Ihnen diese Flagge als Zeichen unserer Anerkennung der treuen und selbstlosen Dienste Ihres Mannes für unsere Nation.«
    Da fiel Maggie auf, dass Daniel ihr gegenüber den Krieg nie erwähnt hatte.
    Während der Priester der Gemeinde vorbetete, drehte sie sich nach dem Meer der Gesichter um und dachte darüber nach, dass die katholischen Bräuche, so veraltet sie auch waren, doch eine Funktion erfüllten: Hier ging niemand allein. Was blieb war die Frage, wer später noch kommen würde. Wer würde Daniels Grab besuchen, wenn es draußen bitterkalt war? Wer würde jährlich zu seinem Geburtstag herkommen? Auf einem Friedhof erkannte man sofort, welche Gräber regelmäßig besucht wurden und welche nicht: Auf manchen häuften sich immer frische Blumen. Maggie fragte sich, ob das wohl die Gräber der zu Lebzeiten am meisten oder der am wenigsten Geliebten waren.
    Jetzt saß sie mit ihrer Mutter und Tante hier im Sommerhaus und dachte an das Kind unter ihrem Herzen. Das Mädchen würde ihr Leben leben – Kindheit, komplizierte Jugend, Ehe und eigene Familie, ganz normal – und irgendwann würde auch sie sterben, und ihre Enkel würden auf der Kirchenbank sitzen. An Maggie würden sie sich schon nicht mehr erinnern, außer vielleicht als die schwächliche alte Urgroßmutter. Von Kathleen hatten sie vielleicht einmal erzählen gehört.
    Von draußen drang das Geräusch eines Autos zu ihr herein. Maggie reckte den Hals und sah das braune Dach eines Lieferwagens aufs Haus zukommen. Kurz darauf klopfte es, und, neugierig geworden, gingen alle drei zur Tür. Das konnte passieren, wenn man hier im Idyll am Meer war. Zuhause, wo ständig ein Fernseher lief, der Computer Aufmerksamkeit verlangte oder ein Telefon klingelte, würde sich keiner vom Sofa erheben, um herauszufinden, was der Lieferant heute brachte. Das konnte doch jemand anders machen.
    Von dem Lieferanten sahen sie nur ein paar Beine in kurzen braunen Hosen und hochgezogenen Socken. Der Rest verschwand hinter einem überdimensionalen Pappkarton, den er gerade so umfassen konnte.
    »Lieferung für Ann Marie Kelleher«, hörten sie eine Stimme hinter dem Karton.
    Ann Marie eilte auf ihn zu und öffnete das Fliegengitter.
    »Oh, vielen Dank! Bitte stellen Sie es hierher. Aber vorsichtig!«
    Kathleen verdrehte die Augen.
    Dann setzte Ann Marie ihre Unterschrift auf einen Zettel, den der Lieferant ihr auf einem Klemmbrett hinhielt.
    »Schönen Tag noch, die Damen«, sagte er und war schon weg.
    Einen Augenblick lang standen sie nur da und starrten die riesige Kiste an.
    »Kann man Ponys jetzt auch per Versand bestellen?«, fragte Kathleen.
    »Das ist mein Puppenhaus«, sagte Ann Marie. Sie konnte ihre kindliche Freude nicht verbergen, und Maggie fand das irgendwie süß. Meine Güte, ihre Mutter stand doch auch auf Würmer. Sollte es ihr da tatsächlich unmöglich sein, die seltsamen Leidenschaften anderer nachzuvollziehen?
    »Ich hol schnell ein Messer aus der

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