Sommer in Maine: Roman (German Edition)
als sie fragte: »Schatz, gehen wir morgen zu deiner Mutter?«
»Morgen?«, hörte sie Patricks unverwechselbare Stimme fragen.
»Was macht Pat zuhause?«, hatte Kathleen gesagt. »Ich dachte, der ist bei den Kiwanis.«
Wenn sie nicht so blöde wäre, hätte Ann Marie sich eine überzeugende Geschichte ausgedacht: Er hat eine Erkältung oder Die Große hatte eine Ballettvorführung und er konnte heute nicht zum Treffen gehen. Stattdessen schwieg sie und sagte dann: »Was hast du gesagt? Pat ist nicht hier. Das war Daniel Junior.«
Kathleen atmete tief durch: »Erzähl keinen Scheiß, Ann Marie. Entweder du sagst mir selber, was los ist, oder du holst jetzt sofort Pat ans Telefon.«
Ann Maries Stimme zitterte: »Das musst du mit deinem Mann klären. Tut mir leid.«
Als er nach Hause kam, war Kathleen noch wach und die Weinflasche leer. Sie hatte am Küchentisch gesessen, auf dem schwarz-weiß Fernseher die Letterman Show gesehen und darauf gewartet, dass sich die Hintertür öffnete.
»Du bist ja noch wach«, sagte Paul.
»Wie war das Kiwanis-Treffen?«, sagte sie mit ruhiger Stimme, obwohl ihr Herz raste.
»Ach, langweilig«, sagte er. »Aber danach sind wir noch einen trinken gegangen. Das war ganz nett.«
»Hat mein Bruder den Grillabend bei meinen Eltern morgen erwähnt?«, fragte sie.
»Könnte sein«, sagte Paul zögernd. »Ich kann mich nicht erinnern. Ich mag deinen Bruder ja, aber irgendwie kann er die Klappe nicht halten. Hat der mich heute vollgelabert. Ich hab nur die Hälfte mitgeschnitten.«
Kathleen trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Lüg mich nicht an«, sagte sie.
»Was?« Er nahm ein Bier aus dem Kühlschrank.
»Ich weiß, wo du warst.«
»Wovon redest du?«
»Mein Bruder hat mir alles erzählt«, log sie. »Auch von ihr.«
Paul kniff die Augen zusammen. »Nicht so laut«, sagte er. »Die Kinder schlafen.«
»Ach! Die Kinder. Die Kinder!«, schrie sie. »Jetzt machst du dir Gedanken um die Kinder?«
»Du bist betrunken«, sagte er. »So kann ich nicht mit dir reden.«
»Erbärmlicher Feigling!« Damit hatte sie ihn erwischt.
»Gut«, sagte er. »Ich hab ’ne andere. Das wolltest du doch hören, oder? Pat und Ann Marie haben uns zufällig gesehen, das ist eine Ewigkeit her. Der Scheiß mit den Kiwanis und dem Poker war übrigens seine Idee. Ich wollte es dir sagen.«
Kathleen war perplex: »Du bist ein wahrer Engel.«
Er hatte sie mit wütend funkelnden Augen angesehen, aber jetzt wandte er den Blick plötzlich auf die Küchentür hinter ihr und setzte ein falsches Lächeln auf. Kathleen drehte sich um. Da stand Maggie in ihrem Baumwollnachthemd in der Tür, die Augen noch schwer vom Schlaf.
Danach folgte eine Reihe schmerzhafter Enthüllungen, und mit jeder trank Kathleen mehr: Paul hatte seit über einem Jahr ein Verhältnis; in dieser Zeit hatte er der anderen zehntausend Dollar geliehen, aber seit neun Monaten nicht die Raten für das Haus bezahlt, und die Bank wollte ihnen den Kredit kündigen. Kathleen hatte mit einer Affäre gerechnet, aber das mit dem Geld hatte sie nicht geahnt. Ihr Vater wollte einspringen, aber dazu war es schon zu spät. Im März verloren sie das Haus.
Auf Drängen ihres Vaters nahm Kathleen die Kinder und fuhr mit ihnen ins Sommerhaus nach Maine.
In jenem Frühling tauchte sie in einen Nebel. Es kam regelmäßig vor, dass sie vergaß, Maggie und Chris Abendessen zu machen oder die Haustür abschloss, früh ins Bett ging und erst später bemerkte, dass die Kinder noch am Strand spielten.
Es war ihr Vater, der sie auffing. Wie immer. Eines Abends fuhr er von Massachusetts zu ihr nach Maine und setzte sie vor das gleiche Ultimatum, vor das er Jahrzehnte zuvor seine Frau gesetzt hatte: Entweder, sie hört mit dem Trinken auf, oder er nimmt die Kinder zu sich.
»Weißt du denn nicht mehr, wie du dich damals manchmal vor Mama gefürchtet hast?«, sagte er. Es war das erste und einzige Mal, dass er das direkt ansprach. »Wie kannst du Maggie nur das Gleiche antun?«
Das hatte ihr den Anstoß gegeben, zu den Anonymen Alkoholikern zu gehen. Drei Tage nach dem ersten Treffen mit den Anonymen hatte sie noch einmal getrunken. Eine Viertelflasche Gin. Verzweifelt und betrunken hatte sie Pauls Nummer gewählt und ihn angefleht, zu ihr zurückzukommen. Am nächsten Morgen erinnerte sie sich mit Schrecken daran und ging gleich zu einem weiteren Anonymen-Treffen. Seither hatte sie keinen Tropfen angerührt.
Obwohl Paul fremdgegangen war und nicht
Weitere Kostenlose Bücher