Sommer mit Nebenwirkungen
ich Sie. Ich denke, auch Sie sind hier zufrieden, uns verbindet eine Win-win-Situation. Nur das, was Sie sich heute hier geleistet haben, ist – ich muss es so hart sagen – unprofessionell. Das ist nicht die Performance, die wir uns als Unternehmen vorstellen. Mit solchen Auftritten können Sie schnell unser Image ruinieren. Und Sie wissen, Sophie, wie viel unser Name in der Branche zählt.«
Jetzt kommt es, dachte Sophie. Wie zum Gebet faltete die Chefin nun ihre Hände und legte sie dicht vor ihr auf den Tisch ab, natürlich nicht, ohne den Ehering samt Verlobungsdiamanten oben liegen zu haben. Ihr Gesicht war nun nah an Sophies Gesicht.
»Ich habe gesehen, Sie haben seit fast einem Jahr keinen längeren Urlaub mehr genommen. Mein Vorschlag lautet: Nehmen Sie sich frei. Ganz spontan. Fahren Sie mit Ihrem Verlobten weg, eine Woche, kommen Sie einfach zur Ruhe. Atmen Sie durch. Ihr Verhalten und Ihre Mail machen mir Sorgen. Bevor es zum Burn-out kommt, sollten Sie sich ein Time-out gönnen.«
»Wann soll ich wegfahren?«, fragte Sophie irritiert. »Nächste Woche?«
»Nein, sofort. Ab heute. Ich will Sie eine Weile aus der Schusslinie haben. Das Risiko, mit Ihnen zu arbeiten, ist mir im Moment zu groß. Wer weiß, was Sie noch mit den Kandidaten anstellen. Sprung vom Zehner im Olympiabad? Oder einen Besuch des KitKatClubs, um sich richtig kennenzulernen!« Sie lachte heftig über ihren eigenen Witz.
»Aber«, stotterte Sophie, »ich kann doch nicht einfach wegfahren. Wohin? Ich habe doch nichts gebucht. Und Johann ist nicht da, er arbeitet. Im Moment verhandelt er in Wien.«
»Dann fliegen Sie doch einfach nach Wien«, schlug die Chefin vor, während sie sich schon wieder abwandte, um sich mit irgendwelchen Papieren zu beschäftigen.
»Ich will aber nicht nach Wien«, protestierte Sophie.
Der Kopf der Chefin schoss hoch, und sie sagte in scharfem Ton: »Sophie, ich möchte Sie nicht abmahnen. Aber Sie brauchen eine Auszeit, dringend. Dies ist eine Anweisung von mir: Sie nehmen sich Urlaub. Ab heute. Wenn Sie wieder klar im Kopf sind, kommen Sie zurück. Genießen Sie die Zeit, aber denken Sie auch über Ihre Professionalität nach. So etwas darf nicht wieder vorkommen.«
Konsterniert stand Sophie auf. »Und wer kriegt den Kosmetikjob?«, fragte sie abschließend.
Die Chefin schaute sie schon nicht mehr an, ordnete Unterlagen auf dem Tisch.
»Eine der beiden Frauen. Die haben sich wirklich ins Zeug gelegt – gegen Sie«, sagte sie.
Sophie ging zur Tür. Sie war zum Urlaub verdonnert worden. Das war wirklich sonderbar. Wann war sie das letzte Mal längere Zeit weg gewesen? Vor drei Jahren vielleicht. Johann und sie machten eigentlich immer nur Kurzurlaube, Städtetrips in schöne Hotels, aber nach spätestens zweiundsiebzig Stunden war alles vorbei. Mehr ließen ihr und sein Terminkalender nicht zu. Hatte sie zumindest immer gedacht. Aber jetzt stellte sich heraus, dass das Assessment-Center problemlos auf sie verzichten konnte. Noch eine Niederlage.
Die Klinke schon in der Hand, hörte Sophie ein Räuspern hinter sich. »Lassen Sie los, Sophie. Manche Frauen sind nicht für die Mutterschaft bestimmt. Als Mutter von drei Kindern weiß ich, wovon ich rede. Beruf und Nachwuchs unter einen Hut zu kriegen ist eine immense Herausforderung. Da muss man nervlich gut aufgestellt sein. Die vielen Entscheidungen, die man treffen muss: die Auswahl des richtigen Au-pairs, des internationalen Kindergartens, später das Internat mit Zukunft. Dann der Alltag – selbst wenn man den Kindergeburtstag von einer Agentur organisieren lässt, wollen die Kinder einen doch kurz vor Ort sehen. Das will alles koordiniert sein. Es geht mich wirklich nichts an, aber wenn Sie meinen Rat hören wollen: Im Beruf sind Sie, Sophie, erfolgreich, aber Kinder – damit stoßen Sie an Ihre Grenzen. Ihr Körper sendet Ihnen ein klares Signal: Kinder gehören nicht zu Ihrem Weg. Ein Leben ohne Kinder ist für eine Frau heutzutage möglich, die Blaustrumpf-Zeiten sind lange vorbei. Natürlich, der grandiose Moment, Leben zu schenken, etwas für die Zukunft zu tun, ich möchte darauf nicht verzichten. Aber reden wir Klartext, Sophie: Sie sind kein besonders mütterlicher Typ. Dafür sind Sie viel zu …«, die Chefin suchte das richtige Wort, »… flippig.« Damit war Sophie entlassen.
Manchmal war es ganz leicht zu gehen.
5
Die Maschine nach Wien war fast ausgebucht, mit Glück hatte sie noch einen Platz ergattert. Natürlich in der
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