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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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sich wieder Himmel, der nicht mehr von den überhängenden Dächern der Kirchen verdeckt wurde. Der Himmel, der ihr eben noch pechschwarz vorgekommen war, wirkte nun deutlich heller, ja, man sah sogar Wolken, und ab und zu drang der Mond hindurch. Sie schloss die Gittertür zur Quelle auf, die sich leicht öffnen ließ.
    Die Quelle plätscherte laut und unermüdlich vor sich hin. Dort war die Holztür – eine kleine Treppe mit vier Stufen führte hinauf. Kein Wunder, dass sie die Tür zwar gesehen, ihr aber nicht viel Bedeutung beigemessen hatte, so unscheinbar, wie sie aussah. Sie bestand aus fünf Bohlen und wurde durch Metallbeschläge grob zusammengehalten. Nichts an ihr wirkte verheißungsvoll. Sie hatte sich von ihrer Einfachheit und von der Aussage des Hotelchefs täuschen lassen.
    Es dauerte einen Moment, bis der Bartschlüssel griff. Ihr Herz pumpte schnell.
    Als Erstes bemerkte sie den starken Geruch, der ihr entgegenschlug. Was war das – Weihrauch? Nein, eher Kräuter. Und Blumen. Sophie hielt die Laterne in den Raum, doch die half hier nicht, die Kerze war viel zu schwach. Sie konnte hoch oben an der hinteren Wand ein großes rundes Fenster erahnen, denn dort war es weniger dunkel als im Rest des Raumes. Doch das Mondlicht drang nicht herein, es musste sich eine Wolke davorgeschoben haben. Sophie tastete mit der rechten Hand im Halbdunkel nach dem Lichtschalter. Tatsächlich, da war etwas, sie fand einen alten Drehschalter aus Bakelit. Ein Dreh, und der Raum war … nun ja, hell war er nicht gerade. Das konnte nicht mehr als eine 25-Watt-Birne sein, die den Raum jetzt schwach erleuchtete, aber immerhin konnte man etwas erkennen. Sophie trat ein und staunte.
    Der Raum war nicht groß, aber dafür umso voller. Die Wände waren über und über mit den verschiedensten Dingen bedeckt. Dort hingen Bilder, beschriebene Tafeln, kleine Objekte aus Silber oder aus Ton, Sträuße getrockneter Blumen und Kräuter und viele Fotos von Frauen. Es gab alte Schwarz-Weiß-Bilder auf dickem Karton, Polaroids und Farbfotos. Dann entdeckte Sophie auch einige Ultraschallbilder. Jeder Zentimeter Wandfläche schien bedeckt zu sein, die Bilder und Objekte zogen sich vom Boden bis unter die Decke. Sophie hielt die Laterne auf Augenhöhe und ging nun die eine Wand entlang.
    »Danke für die Hilfe!« stand dort oder »Herzlichen Dank, Marienbrunn, unser Kind wurde am 3. 12. 1968 geboren« oder in einer schönen alten Sütterlinschrift »Vergelts Gott! S . v . H., 1863« oder einfach schlicht »Merci«. Auf manchen Tafeln stand auch nicht mehr als die Initialen: »A . S., 1837« stand neben »P . v . B., 1922«, darunter in wunderbar schnörkliger Schrift »St.H., 1772« und »K . L., 1983«. Dazwischen hingen selbst gemalte Bilder, häufig waren die Quelle, eine der Glaskaraffen oder gefüllte Gläser darauf zu sehen. Manchmal tauchten im Bild auch die drei Kapellen auf, oder es wurden ganze Szenen dargestellt: eine Frau im wallenden Kleid, die das Sanatorium erreichte – wann war das wohl gewesen? Im frühen 20. Jahrhundert vielleicht. »Ohne Hoffnung kam ich an, in guter Hoffnung fahre ich.« Aber am sonderbarsten waren die Kröten.
    Das Krötenmotiv kehrte immer wieder, auf den Bildern genauso wie als kleine Figur. Es gab kleine Kröten aus gestanztem Silber, Kröten aus Ton, Kröten aus zartem Porzellan. Manche Kröten sahen auch widerlich hautfarben aus, und Sophie schrak davor zurück, bis sie merkte, dass sie aus Wachs geformt waren. Keine der Wachskröten war größer als ein kindlicher Handteller, aber es war unverkennbar dieses Tier.
    Und dann entdeckte sie die größte Kröte im Raum: eine Skulptur aus Stein. Sie war in die Rückwand eingesetzt worden. Und aus ihrem Maul sprudelte das Quellwasser!
    Der vordere Raum mit dem einfachen Eisenrohr diente als Tarnung, es war eine Fassade, mehr nicht. Die wirkliche Quelle befand sich hinter der einfachen Holztür in diesem Raum. Hier war der mythische Ort, in dem das Wunderwasser aus der Erde sprang. Es rann aus dem Maul einer steinernen Kröte und plätscherte in ein kleines Becken. Wie ging es dann weiter?
    Sophie kniete sich auf den Boden und hielt das Ohr an die Steine. Tatsächlich, es rauschte. Das Wasser lief unter den Steinplatten entlang, und dank des Gefälles schoss es danach im vorderen Raum wieder heraus.
    Aber warum ausgerechnet eine Kröte? Das war nun wirklich kein schönes Tier. Es hockte auf der Erde, braun und warzig, und beobachtete mit seinen schnellen

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