Sommer, Sonne, Ferienglück
Kopf. Er drehte sich um, langsam, ganz vorsichtig: der Alte von zuvor! Der Weißhaar-Gruftie mit den Angeber-Kameras vor dem Bauch. Und was sagt die Type?
»Fräulein Evi«, sagte die Type, »so heißen Sie doch, nicht?«
Evi nickte.
Uwe guckte weg. Die Sorte hältst du im Kopf nicht aus!
»Fräulein Evi! Als ich Sie gerade so beobachtete, ich meine, so ein bißchen aus der Distanz, wissen Sie, was ich da dachte?«
Schweigen.
»Ich dachte mir: Das war es ja! Soviel frische Jugend vor soviel altem Gemäuer. Der Charme eines blonden Mädchens vor römischer Monumentalarchitektur …«
Ich träume! dachte Uwe. Ein solches Geseiere. Wie schafft der Kalkbruch das?
»Mein Name ist Metzler, Charles Metzler. Wissen Sie, ich dachte mir noch etwas … Ich dachte mir: Es könnte eigentlich nicht schaden, wenn ich einige Fotos von Ihnen schieße. Ist mein Beruf sozusagen … Vielleicht wird aus den Fotos auch was. Für ein Buch oder einen Kalender. Die Abzüge kann ich Ihnen ja in jedem Fall zuschicken lassen. So hätten auch Sie eine hübsche Erinnerung an Verona.«
Was denn noch?! Der verlädt die doch, der Opa!
»Ist dies der Herr Bruder?«
»Hm«, kicherte Evi. »Herr? … Bruder, das stimmt.«
»Nun, was hielten Sie davon?«
»Wenn … wenn ich so 'n Foto kriege? Wieso nicht?«
Sobald Evi den Kopf schieflegte wie jetzt, ging sie auf Trip. Uwe kannte das schon. Und dazu noch das Augengeklappere … »Fotos?« Bei dem Wort wird die weich wie Pudding.
»Jetzt aber Moment mal …«, meldete sich Uwe.
»Ach, machen Sie sich mal keine Sorgen, junger Mann. Das läuft rein sachlich. Meine Frau ist ja auch noch dabei. Also wirklich, kein Grund zur Beunruhigung.«
Beunruhigung? Die überlaß mal dem Karl – Papi erzähl ich was! Beunruhigung, darin ist der Karl Plaschek Weltmeister …
Weißhaar aber marschierte einfach los.
Und was machte die dumme Kuh von Evi? – Hüpfte ihm auch noch voraus …
***
Noch jemand gab es, der sich an diesem Vormittag, beinahe zur selben Minute, mit dem Gedanken an Fotos trug: Reinhold Sottka.
Nicht unter den gewaltigen Steinbögen des Amphitheaters, nicht im Touristengetümmel der Piazza Bra, nein, in der Kühle der engen Gassen des mittelalterlichen Viertels, dort, wo daumendicke Eisen schmale Fenster vergittern und ungezählte Besucherfüße den Stein so abgeschliffen haben, daß man sich beinahe darin spiegeln kann.
Dort, gleich hinter der Fußgängerzone der Via Mazzini, neben der Piazza delle Erbe, steht ein altes gotisches Haus, die Nummer 23: Das ›Casa di Giulietta‹, das Haus der Familie Capuletti, deren bittersüßes Schicksal Shakespeare in ›Romeo und Julia‹ verewigte:
»But soft! What light through younder window breaks.«
Nun still! Welch Licht durch euer Fenster bricht …
Und still war es tatsächlich. – Der mittägliche Appetit auf Pizza und Gelato hatte den Besucherstrom gebändigt und in die umliegenden Restaurants, Eisdielen und Pizzerien gelenkt.
Auf einer kleinen Bank saß Irma Kröppe und hatte die Hände im Schoß gefaltet. Ein bißchen Kupferglanz knisterte in ihrem Haar. Ganz ruhig saß sie.
Reinhold Sottka war überwältigt.
Nun muß man zugeben, und jeder, der ihn kannte, wußte das: Reinhold ließ sich von solch anrührenden Eindrücken gerne überwältigen. Die Wahrheit hinter dem Schein suchen, das Schicksalhafte jeder Begegnung erkennen, darum ging es ihm. Als Esoteriker besaß er einen tiefschürfenden Verstand, so tief und so gründlich schürfte der, daß es selbst der verflossenen Beate, die sich ja gleichfalls mit den Geheimnissen der Kabala und dem weiten Reich der Heilkräuter beschäftigte, auf die Nerven gegangen war.
Wie sie dort sitzt …
Eine Kamera müßte ich jetzt haben!
Das Profil.
Den Kopf leicht nach vorne geneigt.
Es ist nicht nur der Spiritus Loci, den sie aufnimmt, sie scheint selbst Julia – oder sagen wir mal, ein bißchen Julia …
Reinhold glaubte, das Knistern der Zeit zu vernehmen.
Die Stille schien in zurückliegende Ewigkeiten zu verweisen. Sicher: Bei Shakespeare stand Julia zwar auf dem Balkon, während Romeo sie von unten anbetete, – aber wie oft muß sie genau auf einer solchen Bank gesessen haben, wie Irma jetzt?
Irma mit Julia zu vergleichen, fiel Reinhold Sottka leicht. Er aber – Romeo? Da hatte er wohl kaum das Zeug dazu. Und dennoch: Es war was dran. Er spürte es einfach. Schließlich, hatte er sich nicht lang genug mit dem ewigen Zirkelgang des Lebens
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