Sommer unter dem Maulbeerbaum
Schaumfestiger ins Haar gekleistert haben! Dann hatte sie es mit Spray besprüht, von dem Opal behauptete, damit würde ihre Frisur garantiert nicht einmal in einem Sturm aus der Form geraten.
Einen Moment lang lehnte sich Bailey an einen Baumstamm und schloss die Augen. Die einstündige Tortur hatte sie erschöpft! Man hatte sie über ihre Ehe, ihren Mann und ihre Kindheit ausgefragt. Es hatte Bailey all ihre Energie gekostet, so zu lügen, dass es nicht auffiel, und Antworten zu geben, ohne wirklich etwas zu sagen.
Da Opal ununterbrochen redete, schien sie gar nicht zu bemerken, dass Bailey eigentlich nicht viel sagte. Ihre Tochter Carla allerdings, die in dem zweiten Sessel saß, sah Bailey hin und wieder von der Seite an, als wollte sie ihr zu verstehen geben, dass ihr Baileys ausweichende Haltung aufgefallen war.
Bailey hatte ihre ganze Geschicklichkeit aufwenden müssen, um Opal dazu zu bringen, Informationen zu erteilen, anstatt sie ihr zu entlocken. Da Bailey Opal nichts erzählen konnte, was nicht ganz Calburn wissen durfte, musste sie subtil und gleichzeitig so entschieden vorgehen wie ein Panzerfahrer. »Ich interessiere mich einfach nur so sehr für Calburn«, sagte Bailey und bemühte sich, jung und unschuldig zu klingen. Carla hatte ihr einen ihrer ungläubigen Seitenblicke zugeworfen.
»Da gibt’s nicht viel zu erfahren«, erwiderte Opal, während sie Baileys Haare auf kleine Lockenwickler rollte.
Bailey bemühte sich, nicht an Shirley Temple zu denken. »Die Geschichte der Stadt ist sicher faszinierend.«
Opal hatte mit dem Einrollen aufgehört und schau-te Bailey eindringlich im Spiegel an. »Sie sind doch nicht etwa wegen der Goldenen Sechs hier, oder?« In ihrer Stimme schwang Feindseligkeit mit und in ihrem Gesicht stand Zorn geschrieben.
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden«, bekannte Bailey wahrheitsgemäß und war froh, dass sie nicht nachgefragt hatte, was Opal denn zu so einer Reaktion veranlasste. Andererseits konnte sie nicht widerstehen sich zu erkundigen: »Was sind die Goldenen Sechs?«
»Calburns Anspruch auf Ruhm, das sind sie«, gab Opal zur Antwort und fuhr dann ihre Tochter an, sie solle den Mund halten, als diese verächtlich schnaubte.
»Und jetzt erzählen Sie mir mehr über Ihren verstorbenen Mann«, forderte Opal sie sodann auf. Gleichzeitig nahm sie noch dünnere Lockenwickler und drehte Baileys Haare so straff darum herum, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Als Bailey dann unter der Haube saß, schlenderte Carla an ihr vorbei und ließ ein gefaltetes Stück Papier auf ihre Zeitschrift fallen. Ohne lange nachzudenken, verbarg Bailey den Zettel und steckte ihn hinterher in ihre Hosentasche.
Jetzt holte Bailey ihn wieder hervor und sah darauf. »Violet Honeycutt weiß alles über Calburn«, stand da auf dem Papier geschrieben. »Gelbes Haus am Ende der Red River Road.« Darunter befand sich eine kleine Zeichnung, der sie entnahm, dass die angegebene Straße ganz in der Nähe war.
Bailey bürstete noch einmal kräftig ihr Haar durch, dann ging sie lächelnd zu ihrem Auto zurück. Auch wenn Carlas Benehmen und ihr Äußeres wenig anziehend waren, gefiel ihr das Mädchen.
Mit Hilfe der kleinen Karte war es ein Leichtes, die
Red River Road ausfindig zu machen. An ihrem Ende befand sich ein hübsches kleines Farmhaus, das vor langer Zeit gelb gestrichen worden war, mit dunkelbraunen Zierleisten an den Fenstern. Riesige Weiden verbargen das Haus fast vollständig, sodass man es von der Straße aus kaum sehen konnte. Als Bailey in die Auffahrt einbog und die Veranda mit den alten Schaukelstühlen sah, konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren: Warum hast du mir nicht so ein Haus hinterlassen, Jimmy?
Sie stieg die Veranda hinauf und klopfte an die Tür, aber niemand antwortete. »Hallo?«, rief sie, doch es kam immer noch keine Reaktion. Als sie zur Rückseite des Hauses hinüberging, fand sie dort eine Frau vor, die sich über ein Gemüsebeet beugte. Es sah aus, als setze sie Tomatenpflanzen. Es war eine korpulente Frau, sie trug ein riesiges Sommerkleid mit Blumendruck, das schon oft gewaschen worden war. Ihre nackten Füße steckten in Riemchensandalen aus Gummi, und auf ihrem Kopf thronte ein großer Strohhut, von dem der halbe Rand abgerissen war. Bailey konnte nur einen Teil ihres Gesichtes sehen, aber sie sah aus, als wäre sie in den Fünfzigern.
»Hallo«, sagte Bailey, und die Frau drehte sich zu ihr um. Ihr Gesicht war ganz faltig von vielen
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