Sommer unter dem Maulbeerbaum
Männer sind unerwünscht.« Sie sah auf ihre Armbanduhr und spürte dabei Arleens spöttischen Blick. Es war keine Markenuhr. »Ich muss jetzt gehen«, sagte Bailey und steckte den Prospekt mit der Adresse in ihre Handtasche. »Ich sag dir Bescheid, wie es weitergeht.«
»Danke«, erwiderte Arleen leise. »Ich verlass mich auf dich.«
Als Bailey sich aus der Nische zwängte, mied sie Arleens Augen. Sie hatten etwas so Leeres an sich, das sie lieber nicht sehen wollte. Arleen ließ Tennessee Williams unsterblichen Ausspruch »Ich habe mich stets auf die Güte von Fremden verlassen« zum Leben erwachen.
Hoch erhobenen Hauptes verließ Bailey das Restaurant und ging zu dem Platz, auf dem sie ihr Auto geparkt hatte.
12. KAPITEL
Ihre Unbekümmertheit hielt nur so lange an, bis sie für sich allein in ihrem Auto saß. Sie steckte den Schlüssel ins Zündschloss, drehte ihn aber nicht um. Vielmehr legte sie den Kopf aufs Lenkrad und schloss die Augen.
Während ihrer Ehe mit Jimmy, als er noch leibhaftig zugegen war, hatte sie so tun können, als existierten diese anderen Frauen nicht. Sie konnte sich einreden, dass Jimmys »Freunde« abscheuliche Kreaturen waren und dass sie nicht in ihrer Nähe sein wollte. Auf diese Weise hörte sie nur wenig und sah noch weniger. Sie konnte sich in all den Häusern in der Küche verkriechen und so tun, als seien sie und Jimmy nur ein ganz normales Paar und als kehre Jimmy von einem Bürojob nach Hause zurück zu ihrem selbst gekochten Essen. Tatsächlich war es ihr mit den Jahren hervorragend gelungen, vor der Wahrheit die Augen zu verschließen.
Und jetzt machte sie mit Matthew Longacre genau dasselbe wie mit Jimmy. Wieder verkroch sie sich und ließ einen Mann alle ihre Entscheidungen treffen, ließ ihn ihr Leben bestimmen.
Sie schaute durch die Windschutzscheibe und sah eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand auf die Geschäfte zusteuern. Sie hätte sehr gerne Kinder gehabt, doch Jimmy hatte sich schon lange vor ihrer ersten Begegnung sterilisieren lassen. Er hatte es nie ausgesprochen, doch Bailey vermutete, dass er sich unfruchtbar gemacht hatte, weil er Angst hatte, ein Kind könnte seine Hasenscharte erben.
Doch jetzt, nachdem sie einige Zeit ohne seine körperliche Gegenwart gelebt hatte, kam sie zu dem Schluss, dass er vielleicht deshalb keine Kinder hatte haben wollen, weil er wusste, er würde eifersüchtig sein. Er wollte Bailey ganz für sich allein.
»Du warst ein sehr selbstsüchtiger Mensch, James Manville«, sagte sie laut und ließ den Motor an. »Und was noch schlimmer ist, ich habe es zugelassen.«
Auf der Heimfahrt achtete sie kaum auf die Straße. Ihre Gedanken waren so voll von dem, was sie an diesem Morgen erfahren hatte, und dem, an das sie sich gezwungenermaßen erinnert hatte, dass sie nur wenig wahrnahm.
Schlimmer noch als das, was man ihr in der Vergangenheit angetan hatte, überlegte sie, war die Tatsache, dass sie es schon wieder so machte. Sie zweifelte nicht daran, dass Matt ihr demnächst einen Heiratsantrag machen würde, und dann würden sie eine hübsche Hochzeit in einer bezaubernden kleinen Kirche feiern. Und eine Woche später wäre sie vermutlich bereits schwanger. >Du siehst aus, als würdest du nur darauf warten, schwanger zu werden', hatte Arleen sie beschrieben.
Doch was würde Bailey ihren Kindern sagen, wenn sie sie nach ihrer Meinung fragten oder um Beistand baten? »Geht zu eurem Vater. Er trifft alle Entscheidungen. Ich füge mich ihm nur.« Würde sie das sagen?
Und Bailey wusste nur zu gut, wie schnell sich die Dinge ändern konnten. Was wäre, wenn sie und Matt drei Kinder bekamen und er dann von einem Gerüst stürzte und starb? Wie sollte sie dann ihre Kinder ernähren? Sollte sie rund um die Uhr als Kellnerin arbeiten und sie nie zu Gesicht bekommen? Sie hatte schon mehrfach Artikel über erwachsene Menschen gelesen, die zornig auf ihre gestressten und überarbeiteten allein erziehenden Mütter waren, weil sie als Kinder kaum Zeit mit ihnen verbracht hatten.
Was würde sie tun, wenn Matt eine Affäre hatte? Würde sie es machen wie bei Jimmy: sich unter Einkochgläsern mit Grapefruitmarmelade vergraben und so tun, als bemerke sie nicht, was vor sich ging? Wenn Matt eine Party feiern wollte mit Gästen, die sie nicht leiden konnte, was würde sie dann machen? Müdigkeit vorschützen und zu Bett gehen? Es war eine Sache, in einer sechstausend Quadratmeter großen Villa von einer Party zu flüchten, aber eine
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