Sommerfalle
dem Weg hierher?
Bitte, Gott, bitte schick mir Hilfe.
Mike betrachtete das Haus noch einmal von oben bis unten. Er begann, es in Richtung der Schlafzimmer zu umkreisen und bemerkte, dass wirklich alle Fenster geschlossen und die Vorhänge zugezogen waren. Auf der Rückseite angekommen bemerkte er die weiße Schnur, die zwischen zwei Bäumen gespannt war, und den ausgetretenen Weg von dieser Wäscheleine hin zur Garage. Er musste sich anstrengen, um in der Dunkelheit Fußspuren zu erkennen. Sein Herz schlug schneller: das Sohlenmuster war identisch mit dem von vorhin, außerdem wirkten die Abdrücke hier frisch. Er ging auf das Küchenfenster zu und klopfte an die Scheibe.
Drinnen sank Rebecca langsam zu Boden, während der Typ dort draußen gegen das Glas trommelte und in normalem Ton sagte: »Becky? Bist du da drinnen? Ich bin’s, Mike Sylver. Von der Highschool.«
Verschwinde einfach, Mike Sylver, dachte sie. Bitte verschwinde. Sie bekam heftigen Schluckauf und verschloss ihren Mund rasch mit einer Hand.
Mike hörte draußen nichts davon. Er blickte durch den Spalt zwischen den Küchenvorhängen und presste sein Gesicht gegen das Glas. Als er das Knacken von Holz im Wald hinter sich vernahm, fuhr er herum.
Edward blieb kurz vor der Lichtung, auf der das Haus stand, stehen und lauschte. Er hatte keinen Lärm machen wollen, dass ein Ast unter seinem Tritt laut zerbrach, war aus Versehen passiert. Er konnte die Person auf der Rückseite des Hauses noch nicht sehen, ebenso wenig konnte Mike Edward erspähen. Die beiden und auch Rebecca drinnen im Haus verharrten bewegungslos wie Eisskulpturen. Als Einzige von den dreien wusste Rebecca sicher, dass da jemand anderer war, aber sie würde sich ganz bestimmt nicht zu erkennen geben.
Nachdem selbst die Grillen kurzzeitig verstummt zu sein schienen, war ihr Zirpen jetzt wieder für alle zu hören. Mike rührte sich als Erster. Er kam zu dem Schluss, dass das Geräusch von irgendeinem Tier im Wald gekommen sein musste, und ging weiter auf die andere Seite des Hauses herum. Dort entdeckte er ein kleines Garagenfenster, durch das er ungehindert hineinschauen konnte. In der Dunkelheit konnte er aber nichts erkennen. Doch genau in diesem Moment begann die Waschmaschine mit dem Schleudergang. Nun wusste er, dass jemand zu Hause sein musste.
Edward achtete darauf, dass der breiteste Baum zwischen ihm und dem Haus blieb, während er nach dem Eindringling spähte. Er konnte nicht verhindern, dass er geräuschvoll nach Luft schnappte, als er deutlich die Umrisse eines Mannes neben seiner Garage entdeckte. Er hielt den Atem an, während der Fremde weiter ums Haus herum ging. Da bemerkte Edward Rebeccas Handtasche über der Schulter des Mannes. Mit Sicherheit hatte er nicht nur das Telefon, sondern auch die Pistole da drin. Jetzt bog er um die Ecke und war verschwunden.
Edward verließ rasch die schützende Dunkelheit des Waldes und eilte verstohlen zur Garage. Er wagte aber nicht, seine Schlüssel zu benutzen, die sich in seiner Tasche mit den Handschellen verhakt hatten. Also schlich er ans Küchenfenster, klopfte leise und flüsterte: »Ich bin’s, Ed.«
Rebecca hatte so angestrengt gelauscht, dass sie ihn vermutlich auch verstanden hätte, hätte er die Worte nur stumm geformt. Behutsam löste sie die Verriegelungen, und Edward schlüpfte hinein. Er schloss hinter sich sofort wieder ab und bedeutete Becky mit einem warnenden Handzeichen, unten zu bleiben. Dann kroch er zum Wohnzimmerfenster hinüber, schob die Hand hinter den Vorhang und kontrollierte die Verriegelung. Das machte er in allen Zimmern, wie so oft, als er noch ein einsamer kleiner Junge gewesen war.
Mike seufzte, als er das Haus einmal umrundet hatte. Er würde doch seinem Vater Bescheid geben. Und es wurde Zeit, Verstärkung zu rufen. Doch irgendetwas erregte plötzlich seine Aufmerksamkeit, er blieb wie erstarrt stehen. Flüchtig nahm er eine Hand am Fenster wahr, kaum merklich bewegte sich der Vorhang. Mike war sich jetzt absolut sicher, dass Becky hier festgehalten wurde. Trotzdem wandte er sich vom Haus ab und ging zielstrebig die Zufahrt hinunter. Er wollte den Anschein erwecken, als habe er aufgegeben.
Nachdem eine halbe Stunde lang niemand mehr nach Becky gerufen und draußen auch kein suchender Schein einer Taschenlampe die Dunkelheit erhellt hatte, atmeten Ed und Becky langsam auf.
»Kannst du bitte«, wandte sie sich noch immer flüsternd an ihn, »noch mal deine E-Mails kontrollieren?
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