Sommerflammen
er zur Brandzentrale ging, und versuchte, das Gehörte zu verarbeiten. So ungern sie es auch zugab: Vielleicht hatte L.B. doch recht.
Vielleicht brauchte sie eine Verschnaufpause. Deshalb würde sie ihren Vater und sein Team besuchen. Der Spaziergang dorthin würde ihr hoffentlich einen klaren Kopf bescheren, und ein Zusammensein mit ihrem Vater tat ihr immer gut. Sie holte eine Flasche Wasser und eine Baseballmütze, als sie beim Verlassen des Gebäudes zufällig Gull traf.
»Ich habe dich mit dem Cop gesehen. Muss ich die Kaution lockermachen?«
»Noch nicht. Sie haben Dollys Wagen gefunden, Gull.«
»Ja, das habe ich schon gehört.«
»Und es gibt weitere Neuigkeiten. Ich muss alles erst mal sacken lassen. Ich gehe zur Fallschirmspringerschule hinüber und besuche meinen Vater.«
»Soll ich dich begleiten?«
»Ich möchte ein wenig allein sein.«
Er strich ihr mit dem Handrücken zärtlich über die Wange. Das brachte sie völlig aus dem Konzept.
»Melde dich, wenn du wieder da bist«, sagte er.
»Klar. Du gehörst übrigens zur zweiten Gruppe«, rief sie ihm noch nach. »Kann sein, dass Idaho ein paar Zulies braucht. Wenn du springst, dann aber richtig.«
Im Gehen betrachtete sie das Spektakel, das sich ihr bot: abhebende Flugzeuge, Fallschirmspringer im freien Fall. Westlich zogen Wolken auf, die dick und weiß über den Bergen standen. Weiter oben und im Norden waren sie kleiner und fedriger und trieben gemächlich nach Osten. Sie hörte, wie die Mechaniker in den Hangars arbeiteten. Sie vernahm Musik, das Klirren von Metall, Stimmen, schaute aber nicht auf ein Schwätzchen bei ihnen vorbei wie sonst. Sie hatte gerade keine Lust, sich zu unterhalten. Sie brauchte etwas Zeit für sich.
Der Mörder musste einen Wagen oder einen Track besitzen, dachte sie. Niemand würde Dolly vom Fundort ihres Autos bis zum Fundort der Leiche tragen. Hatte er sie umgebracht, als sie auf dem Highway rechts rangefahren war, und ihre Leiche in den Kofferraum geworfen? Oder hatte er sie mitgenommen, am Beginn des Wanderwegs geparkt und sie dann umgebracht? Vielleicht hatte er sie auch gezwungen, den Wanderweg zu nehmen und sie anschließend … Meine Güte, egal, was passiert war. Dolly war tot und ihre kleine Tochter eine Waise.
Warum war sie überhaupt auf dem Highway in Richtung Süden gefahren? Woher kam sie? Von einem Liebhaber vielleicht? Einem, der ihr helfen sollte, Ärger zu machen? Motels gab es an dieser Strecke genug. Wenn man mit einem kleinen Kind bei den Eltern lebte, war es nicht so einfach, sich mit einem Liebhaber zu treffen. Und Dolly war bekannt dafür, Sex gegen Gefälligkeiten anzubieten.
Warum hatte sie ihr Baby nicht genug geliebt, um ein neues Leben zu beginnen? Warum hatte sie sich in Rachegelüsten verzehrt, anstatt eine gute Mutter zu sein?
Schon wieder dieses Mutterthema! Ärgerlich über sich selbst, beschleunigte Rowan ihre Schritte. Sie hatte genug Zeit allein verbracht, dachte sie. Außerdem wurde das ohnehin überschätzt. Sie hätte Gulls Angebot annehmen sollen, sie zu begleiten. Er hätte sie abgelenkt, zum Lachen gebracht oder sie wenigstens genervt, sodass sie nicht mehr traurig und wütend wäre.
Während sie zwischen den Menschen auf dem Rasen und den Picknicktischen auf dem Übungsgelände ihres Vaters hindurchging, sah sie wie die anderen nach oben.
Gleich geht es los, dachte sie und beobachtete das
Fugzeug. Sie lief zum Zaun, steckte die Hände in die hinteren Hosentaschen und beschloss, die Show zu genießen. Sie grinste breit, als sich der Fallschirmspringer hinausfallen ließ. Diese Verschnaufpause tat ihr wirklich gut. Als der zweite sprang, konzentrierte sie sich ganz auf die Formation während des freien Falls. Der erste Springer war eindeutig ein Schüler, stellte sich aber gar nicht mal so schlecht an. Er streckte die Arme aus, genoss das Panorama, spürte den Wind.
Und der zweite? Rowan legte den Kopf schräg und kniff die Augen zusammen. Noch konnte sie es nicht mit Sicherheit sagen, aber sie hätte wetten können, dass Iron Man Tripp auf den Schüler zuschoss.
Dann kam der entscheidende Moment: Die Schirme entfalteten sich, erst einer und dann der zweite. Das Publikum klatschte und johlte. Sie sah den blau-weiß gestreiften Schirm des Schülers und jenen, den sie entworfen, gewartet und ihrem Vater zum sechzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Darauf prangte in großen roten Buchstaben der Schriftzug Iron Man über der Silhouette eines Feuerspringers.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher