Sommerglück
Komplizin?«, fragte Nick.
»Oder wurde ihr dieses Wissen zum Verhängnis?«, fragte Joe zurück und starrte die Zahlen und die Kritzeleien auf dem Umschlag an. »Könnte sie ›das Mädchen‹ sein?«
»Wohl kaum. Der Zeitpunkt stimmt nicht.«
»Sie haben recht, das kann nicht der Grund für Charlies Tod gewesen sein – der Unfall fand ein ganzes Jahr vor den Rückzahlungen statt. Was mag Sean dazu bewogen haben?«
»Vielleicht hat der unbekannte Komplize seine Familie bedroht. Entweder du machst weiter mit, oder deiner Frau passiert etwas. Oder deinen Töchtern.«
»Zum Beispiel, dass sie überfahren wird?«
Etwa von einem dunkelroten Van
?, dachte Joe.
»Bisher ist nichts passiert – vielleicht besaß Sean am Ende doch so viel Charakter, für den Mist geradezustehen, den er gebaut hat. Er hielt an seinem Vorhaben, auszusteigen, fest, und sein Kumpel brachte ihn um. Warum sollte er sich jetzt noch mit einem weiteren Mord an einem Familienmitglied belasten?«
»Ist Ihnen aufgefallen, dass der ganze Schlamassel begann, als Boland zur Shoreline Bank überwechselte? Der unbekannte Komplize muss Boland sein.«
»Unmöglich«, entgegnete Nick. »Bei Anchor Trust hat er sich nicht das Geringste zuschulden kommen lassen. Es gab keine einzige Beschwerde, nicht einmal den Schatten eines Fleckens auf seiner weißen Weste. Und da tritt er seinen Posten bei einer neuen Bank an und verstößt plötzlich gegen das Gesetz? Das passt nicht zusammen. Nein, ich glaube vielmehr, dass er sich in die Höhle des Löwen gewagt und in ein Wespennest gestochen hat.«
»Sie glauben also, der Komplize muss jemand sein, der schon vor Bolands Ankunft mit Sean zusammengearbeitet hat? Jemand, den er überreden konnte, gemeinsame Sache mit ihm zu machen?«
»Wie wäre es mit Fiona Mills, während besagter Geschäftsreise nach Denver –«
»Fiona Mills. Mmm, bei unserem letzten Gespräch erwähnte sie, dass sie eine Silbertrophäe vermisst.«
»Oh – bevor ich es vergesse. Ich muss Ihnen ein Fax schicken; bleiben Sie dran.« Joe hörte Papier rascheln, danach den Klingelton. Sein Faxgerät begann zu summen. Er nahm das Telefon zum Fax am anderen Ende des Büros mit, um zu sehen, was durchkam.
»Die Ergebnisse der Nachforschungen über den Silberbecher«, sagte Nick. »Der, den McCabe in seinem Schließfach hatte. Mickey hat die Fotokopie zu Quantico geschickt, und die haben irgendeinen Penn-Studenten mit der Analyse beauftragt. Wie sich anhand der Markierungen des Silberschmieds herausstellte, ist der Becher noch gar nicht so alt – hergestellt 1945.«
Joe klemmte das Foto unters Kinn, öffnete den Safe und nahm den Becher heraus. Er betrachtete das ansprechende Design, den langen Stiel, die verschlungenen Blätter und Ranken am Fuß, dann überflog er den Bericht:
»Der Stempel stammt von dem Silberschmied Giovanni Armori, der von 1930 bis 1945 in Florenz, Italien, arbeitete. Dieser Trinkbecher war sein letztes Werkstück; es war für die Eltern von Anne-Marie Vezeley in Paris bestimmt, die ihn anlässlich der katholischen Trauung ihrer Tochter mit dem Kunsthändler Jean-Paul Laurent in Auftrag gegeben hatten.
Armori wurde von den Deutschen am selben Tag ermordet, als der Becher fertig war; ein Kurier der Familie Vezeley konnte fliehen und überbrachte ihr den Becher, zusammen mit der Nachricht von Armoris Ableben. Etwa zur gleichen Zeit wurde ein großer Teil der Aufzeichnungen des Silberschmieds verbrannt – nur zwei Wochen, bevor die Amerikaner im April 1945 eintrafen, um die Region zu befreien.
Der Becher, ein Geschenk von Anne-Maries Eltern an das junge Paar, blieb fünfundzwanzig Jahre in Familienbesitz. In dieser Zeit machte sich der Kunsthändler Jean-Paul Laurent, der auf Radierungen und Lithographien spezialisiert war, mit dem Verkauf von Werken der einflussreichsten zeitgenössischen Künstler sowohl in Paris als auch im Ausland einen Namen. Seine Frau und er führten ein reges gesellschaftliches Leben, und in den sechziger Jahren wurde gemunkelt, dass Laurent Kunstwerke, die von den Nazis erbeutet worden waren, aus Paris herausschmuggelte.
Diese Aktivität rückte ihn in den Brennpunkt unseres Interesses. Im Rahmen einer Überwachung der Laurent’schen Wohnung an der Avenue Montaigne im achten Arrondissement in Paris wurde festgestellt, dass Madame Laurent diverse Künstler empfing, während sich ihr Mann auf Geschäftsreisen befand. Sie war unter anderem die Geliebte von Pablo Picasso und Hugh
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