Sommerglück
betrifft, will sorgsam bedacht sein. Ich will nicht, dass sie in die Sache hineingezogen wird. Was meinen Sie mit ›Drohung‹?«
»Es war der Trust Ihrer Tochter, auf den es Sean McCabe abgesehen hatte. Wollten Sie das etwa stillschweigend übergehen? Und was wäre, wenn sich seine Komplizen immer noch Zugang dazu verschaffen möchten?«
»Hören Sie, ich habe ihm den Zugang verwehrt – bestimmt hat er das seinen Komplizen mitgeteilt, wer immer sie sein mögen. Ich habe meine Pflicht und Schuldigkeit getan, und nun möchte ich endlich meine Ruhe haben. Hier bei uns gibt es noch so etwas wie ein Privatleben – ich mag es nicht, ausgequetscht zu werden oder das Gefühl zu haben, ich müsste Sie oder jemand anderes über jeden Schritt informieren. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
Dan hatte die Nase gestrichen voll von Männern in Anzügen und den halben Wahrheiten, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienten; noch furchtbarer war indes die Vorstellung, dass er zehn Sekunden lang versucht gewesen war, sich diesem Club anzuschließen. Das war die einzige echte Bedrohung, die ihm einfiel. Geld hatte etwas Befremdliches. Er war Bootsbauer geworden, weil diese Tätigkeit etwas Authentisches und Wahrhaftiges hatte und meilenweit entfernt von der Hektik des Alltags war. Aber sie forderte auch ihren Tribut, genau wie alles andere.
Eliza hatte vermutlich schon Schulschluss oder musste jeden Moment nach Hause kommen. Er würde sie gleich anrufen und fragen, was sie zu Abend essen wollte.
Aber vorher hatte er noch etwas zu erledigen. Nachdem er Joe losgeworden war und sich wie befreit fühlte, konnte er nicht länger warten: Er musste zu Bay. Er stieg in seinen Pick-up, ließ den Motor an und brauste los, nach Westen, in Richtung Hubbard’s Point.
Eliza hatte ihre Erbsen aufgereiht: Es waren genau zwölf.
Tiefkühlkost, die inzwischen aufgetaut war. Beim Kochen würden sie einen Großteil ihres Geschmacks und ihren Biss verlieren. Und viel zu viele Nährstoffe. Sie hätte sich gerne gewünscht, gesund zu sein. Sie mochte einen Schritt weit von der Realität und der ungetrübten Wahrnehmung entfernt sein, aber sie bemühte sich
nach besten Kräften,
ihre Essgewohnheiten zu verändern.
Sie schenkte sich ein großes Glas Wasser ein.
Dann legte sie ihre Lieblings- CD von Andrea Boccelli auf und zündete eine Kerze an. Wenn sie das Essen in ein festliches Ereignis verwandelte, würde sie vielleicht den Wunsch verspüren, es häufiger zu zelebrieren. Sie blickte aus dem Fenster, fragte sich, wann ihr Vater nach Hause kommen würde.
Sie nahm Platz und aß die erste Erbse, kaute sie gründlich. Ihr Blick streifte durch die Küche. Der Knoten, den sie im Magen verspürte, war nicht mehr so schlimm wie früher, wenn sie an ihre Mutter dachte, die immer das Abendessen zubereitet hatte. Bevor sie mitbekommen hatte, wie ihre Mutter Mr.McCabe küsste, war ihr Essverhalten eigentlich völlig normal gewesen. Die Magersucht hatte unmittelbar danach begonnen.
Es hatte ihr gut getan, Annie alles zu erzählen. Sie war so erleichtert gewesen, dass sie den Wunsch gehabt hatte, ihrem Vater ebenfalls die Wahrheit zu sagen. Wie hieß es doch in Banquo: »Du bist nur so krank wie deine Geheimnisse.« Vielleicht steckte doch mehr hinter diesem Spruch, als sie geglaubt hatte.
Während sie die dritte Erbse kaute, beschloss sie, sich noch etwas Gutes zu gönnen: Eiswasser, aus ihrem Silberbecher. Das war ein klarer Fortschritt. Es bedeutete, die Dämonen zu bekämpfen, die Krankheit Schritt für Schritt zu überwinden, den Genesungsprozess voranzutreiben.
Ihre Mutter hatte ihr den Becher geschenkt. Er war von einer Generation zur nächsten weitervererbt worden, stammte von dem General; er war nicht nur eine berühmte militärhistorische Gestalt, sondern als solcher auch der größte Romantiker in der Geschichte der Vereinigten Staaten gewesen, vielleicht sogar weltweit. General John Samuel Johnson hatte den Becher von Paul Revere anfertigen lassen, als Geschenk für die große Liebe seines Lebens, Diana Field Atwood. Und er hatte ihn ihr persönlich überbracht und dabei den gefrorenen Fluss überquert. Als kleines Kind hatte Eliza ihre Milch aus dem Becher getrunken.
Ihre Mutter hatte oft im Scherz gesagt, sie sei vermutlich das einzige kleine Mädchen in Amerika, das Milch aus einem von Paul Revere gefertigten Becher trank. Sie hatte Eliza die erste Strophe eines Gedichts von Longfellow beigebracht, das den heldenhaften
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