Sommerglück
grauenvoll« deuten würde.
»Dachte ich mir schon.«
»Wusste ich. Frank Allingham hat wieder angerufen. Es war nett gemeint, aber ich fühle mich nicht in der Lage, mit ihm zu sprechen … ich suche Arbeit.«
»Hast du schon was gefunden?«
»Noch nicht. Meine Computerkenntnisse sind unzureichend, und heute scheinen nur noch Mitarbeiter gefragt zu sein, die Windows und Excel beherrschen …«
»Die Anzahl der Menschen ohne Computerkenntnisse wird in unserer heutigen Gesellschaft weit unterschätzt. Aber bei mir ging es bisher ganz gut ohne, und du schaffst das auch. Was gibt es sonst Neues?«
»Hast du gehört, was die Leute reden?« Bay hob den Blick. Sie trug einen Strohhut gegen die Sonne und musste unter der Krempe hervorlugen, um Taras Gesicht zu sehen.
Tara schüttelte den Kopf. »Niemand würde es wagen, Sean in meiner Gegenwart schlechtzumachen.«
»Außer mir. Ich habe meinen Mann verloren, er wurde wahrscheinlich ermordet, aber ich habe eine wahnsinnige Wut auf ihn, Tara. Wenn er jetzt vor mir stünde …« Bay schüttelte den Kopf, als wollte sie jeden Gedanken an Gewalt verscheuchen. »Ich habe mal unsere monatlichen Belastungen, wie zum Beispiel Hypothek, Versicherung, Strom und Lebenshaltungskosten, überschlagen … ich befürchte, dass wir das Haus verkaufen müssen.«
»Nur über meine Leiche.«
»Oh Tara. Danke. Wie konnte er uns das antun? Was hat er sich dabei gedacht? Wenn ich nicht bald einen Job finde … einen gut bezahlten …« Ihr Herz raste angesichts der Möglichkeit eines weiteren Verlusts, als ob sie nicht schon genug verkraften musste.
»Du wirst bestimmt etwas finden. Du liest weiterhin die Stellenanzeigen, und ich werde meine Fühler ausstrecken. Du hast schließlich eine Menge Talente.«
Es hatte ihr nie etwas ausgemacht, hart zu arbeiten, je härter, desto besser.
»Ich habe Dan Connolly erzählt, dass ich Sean hasse«, gestand sie.
»Dass du ihn jetzt hasst, ist verständlich. Wie könnte es auch anders sein? Soll Dan die Dory für Annie bauen?«
»Ich wüsste nicht, wie.«
»Wegen des Geldes?«
Sie nickte. »Der Sommer geht zu Ende. Wir werden jeden Cent brauchen, den wir haben; unsere Ersparnisse müssen reichen, bis ich Arbeit finde. Ich würde meinen Verlobungsring zur Pfandleihe bringen, um die Dory zu bezahlen, aber wozu, wenn sie ohnehin bis zum nächsten Sommer im Garten herumsteht …« Bay verstummte. Jeder Teil von ihr schmerzte, wenn sie daran dachte, wie glücklich Annie gewesen wäre, wenn ihr Vater sein Vorhaben wahr gemacht und das Boot für sie in Auftrag gegeben hätte.
Ihr Blick schweifte zur Sanddüne hinüber, auf der silbergrüner Strandhafer schimmerte, zu dem Gestrüpp aus Wachsmyrte und Stechginster, den zerklüfteten Klippen, dem schmalen Pfad, der unter dem umgestürzten Baum entlangführte. Wenn sie ihm folgen würde, käme sie an die Abzweigung, ins Unterholz hinein … Sie konnte beinahe die Lichtung vor sich sehen, die Stelle, an der Dan die Schaukel aufgehängt hatte.
Dann blickte sie nach hinten, zur Uferpromenade.
Er baut Dinge, die ewig halten
, hatte seine Tochter gesagt. Wohl wahr. Die Promenade – aus hundert oder mehr dicken Holzplanken, in gerader Reihe aneinander genagelt, verwittertem Zinn, gepeitscht von der Flut und den bei Nordostwind hohen Wellen – legte Zeugnis von seiner unverwüstlichen Arbeit ab. Ein Bild von Dan aus damaliger Zeit tauchte vage in der Sommerhitze auf: groß, schlank, gebräunt, schmunzelnd.
Der Mann, der Dinge baut, die ewig halten.
Ein Boot für Annie
, dachte Bay.
Aber wozu? Wozu sollte es gut sein? Würde sich Annie wirklich über ein Boot freuen können, das ihr Vater in Auftrag gegeben hatte, eine klassische Dory – selbst wenn es aus dem stärksten, härtesten Holz gebaut würde? Wozu sollte das gut sein, wenn er einfach aus ihrem Leben verschwunden war?
Einfach so?
»Hast du gelesen, was über Augusta Renwick in der Zeitung stand?«, fragte Tara.
Bay zuckte zusammen, erinnerte sich an die Geschichte. Das FBI hatte Nachforschungen bei sämtlichen Kunden von Sean angestellt und herausgefunden, dass ein hoher Prozentsatz seines unrechtmäßig erworbenen Vermögens von den Renwick-Konten stammte – Geld, das Augusta von ihrem verstorbenen Mann geerbt hatte, dem berühmten Maler Hugh Renwick.
»Es könnte schlimmer sein«, meinte Tara sanft. »Es hätte Kunden treffen können, für die fünfzigtausend ein wirklich schmerzlicher Verlust wäre. Wahrscheinlich hat er sie
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