Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
sein halbes Leben lang auf der Transitstrecke über die Ossis aufregen musste. Nach einer halben Zigarettenlänge bot er uns das »Wolle« an und fuhr fort, dass er als Rentner und nachdem seine Frau gestorben war, eben irgendwas zu tun brauchte. Dass es ihn dann hierhin verschlagen habe, wo er für Bauer Plietsch und sein Riesengelände nebenan den Aufpasser macht. Im Gegenzug könne er dort Tabbert aufstellen.
»Tabbert?«, fragte ich.
»Tabbert, so heißt mein Wohnwagen«, erklärte Schröder. Wichtig war Wolle auch noch anzumerken, dass Bauer Plietsch selbst aus dem Westen kam und seit nunmehr fünfzehn Jahren einen Teil des alten Familiengutes wieder aufbaute, das die Kommunisten seinem Großvater gestohlen und runtergewirtschaftet hatten. Und dass er, Wolle, die Schnauze inzwischen »mehr wie jestrichen voll« habe. Wovon, das ließ Wolle im Unklaren. Lieber kam er wieder auf unser Rohr zu sprechen.
»Soll ick euch varaten, warum ihr dit blöde Rohr ers nich jefunden habt? Na ja, weilse im Osten Rohrmodule nur in eena Länge hatten. Wennet bis zum nächsten Anschluss nich jenau hinkam, wurde ehm umme Kurve jelecht.«
Wenig später kam Konrad blitzsauber vom See zurück, schmiss sich das weiße Hemd wieder über, schlüpfte in seine ausrangierten Büroschuhe und drehte sich eine.
Wolle entsprach dem Typus des altgedienten Berliner Bären, die mit ihrer Machen-wa-uns-doch-nischt-vor-Wesensart die einfachen Wahrheiten im Leben unumwunden ansprachen und so ein Wohlbehagen und eine Eckkneipengemütlichkeit erzeugten, die zum Verweilen einlud. Während Hund Paula unausgesetzt würgen musste, servierte uns Wolle ein Best-of seiner Erfahrungen mit den Altlasten der DDR und seiner Auseinandersetzungen mit Behörden, Handwerkern, Baumarktmitarbeitern und anderen wichtigen Akteuren der Region.
»Ick jeh zu dem Fraggle ins Büro, ick sage juter Mann sagick, dit kann jetz nich eua Ernst sein. – Doch sachta, isset aber.«
Dadurch, dass Schröder wie alle Berliner seines Schlages gerne in der szenischen Urfassung berichtete, hatte man bei seinen Erzählungen das Gefühl, einem guten Stück Boulevardtheater beizuwohnen. Hier sprach jemand, das wurde spätestens während der zweiten Zigarette deutlich, für den es noch Wessis und Ossis, Hüben und Drüben sowie Gut und Böse gab. Wolles Stärke bestand darin, mit radikaler Komplexitätsreduktion für Übersichtlichkeit und weltanschauliche Geschlossenheit zu sorgen: »Röhren umme Kurve lejen! Hia uffn Lande is ma ersma klajeworden, watt die DDR eijentlich fürn beklopptet Land jewesen war.«
Im Stillen dämmerte mir der eigentliche Grund, warum wir Universaldilettanten uns bei diesen Anpackertypen so geborgen fühlten: Mochte die Zivilisation ruhig kollabieren, mit einem waschechten Wolle hatte man einen Wahrer des Grundlagenwissens an seiner Seite. Einen, der die Basics noch beherrschte. Jemanden, mit dem man wieder bei null anfangen konnte, falls mal alles zusammenbrach. So wie heute unser Abwassersystem. Und die Wolles liebten es, wenn Leute wie wir plötzlich auf sie angewiesen waren. Der Mann im Planetenhemd hatte sich erhoben und stand, die Hände in die Hüfte gestemmt, breitbeinig vor dem Graben. Eilfertig schnappte ich mir einen Spaten und wartete auf Anweisungen. Mit leeren, verkaterten Augen stierte ich ins Trübe. Wegen meiner Unbeholfenheit in handwerklichen Belangen neigte ich dazu, Herausforderungen dieser Art analog zum Aussitzen »ausglotzen« zu wollen. In der Hoffnung auf eine Vaterfigur, die das Problem schon irgendwie für mich lösen würde, glotzte ich in die Gräben. Aber Schröder schüttelte nur den Kopf.
»Dit riecht nach Ärja. Dit könnta vajessen. Dit krichta nich mea jeflickt. Müssta neu valejen. Ick weeß, woa billich an Materjal kommt.«
Inzwischen wurden die unappetitlichen Laute des Hundes von Babygeschrei überlagert. Elke und Simone hatten sich am anderen Ende des Gartens, in sicherer Entfernung zum Gestank der Gräben auf einer Bank niedergelassen und die Säuglinge zum Stillen angedockt. Sie hatten es zumindest versucht.
»Ich glaube, wir müssen jetzt echt nach Hause, Jörg«, rief Elke.
»Wir auch, Olli, ich krieg den hier beim besten Willen nicht mehr zum Trinken. Und zum Schlafen schon gar nicht«, sagte Simone.
Die Sonne beschien die Windräder am Straßenrand in einem Winkel, dass deren Schatten wie Donnerkeile auf die Fahrbahn eindroschen. Während wir über die Betonplatten der Naziautobahn in Richtung Hauptstadt
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