Sommerkussverkauf
nicht sehr geholfen. Ich weiß, sie meint es nicht böse, aber sie behandelt mich genauso wie Oliver. Ich komme mir vor wie einer dieser Varietékünstler, die von Teller zu Teller laufen in dem verzweifelten Versuch, alle rotieren zu lassen … Ich will doch nur, dass wir eine normale, glückliche Familie sind, aber es f-funktioniert nicht und ich weiß nicht, was ich sonst noch t-tun könnte …« Ihre Stimme brach. Estelle vergrub das Gesicht in den Händen und jammerte: »Egal, wie sehr ich es auch versuche, nichts, was ich tue, scheint jemals gut genug zu sein!«
»He, geben Sie sich nicht selbst die Schuld!« Wills Stimme klang wunderbar beruhigend. »Wissen Sie, ich bin sicher, Oliver will Sie nicht aus der Fassung bringen. Und Kate … nun ja, es fällt ihr einfach schwer, sich an die neue Situation anzupassen, das ist alles. Sie durchläuft eine verzwickte Phase.«
Verflucht verzwickt, dachte Estelle. Und ganz ehrlich, wenn etwas schon fünfzehn Jahre andauerte, ging es dann noch als Phase durch? Sie konnte sich kaum an die Zeit erinnern, als sie sich von ihrer Tochter noch nicht eingeschüchtert gefühlt hatte.
»Aber was soll ich nur tun?« Estelle schnäuzte in ein Küchentuch und sah resigniert zu, wie Will ihr Glas erneut auffüllte.
»Tja, das liegt ganz bei Ihnen. Wollen Sie bei Oliver bleiben oder ihn verlassen?«
Estelles Unterlippe zitterte. »Natürlich will ich bleiben. Ich liebe ihn immer noch, ich will, dass wir wieder glücklich sind, ich weiß nur nicht, wie ich das bewerkstelligen kann.«
»Ich kann Ihnen da keinen Rat geben«, sagte Will. »Aber falls es Sie tröstet« – er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah Estelle mit einem Lächeln an, das ihr sagte, dass er auf ihrer Seite war – »Sie verdienen es nicht, so behandelt zu werden. Wenn ich das Glück hätte, mit jemand wie Ihnen verheiratet zu sein, wäre ich der glücklichste Mann auf Erden. Andererseits, wer würde sich schon so einen hoffnungslosen Fall, wie ich einer bin, angeln wollen?« Jetzt sah er so untröstlich aus, dass es schon fast komisch war. »Meine letzte Freundin hat sich immer beschwert, ich sähe aus, als hätte ich mich im Dunkeln angezogen. Und als wir auf der Hochzeit ihres Onkels Bill waren, nannte ich die Braut Megan, das war aber der Name von Onkel Bills erster Frau.«
Trotz allem musste Estelle lachen.
»Das ist furchtbar. Und Megan, die erste Frau, war …?«
»Tot.« Will seufzte resignierend und nickte. »Ich bin eine wandelnde Katastrophe. Kein Wunder, dass mich meine Freundin abserviert hat. Aber genug von mir. Fühlen Sie sich schon besser?«
Er hatte sie zum Lachen gebracht mit seinem selbstironischen Humor und seinen sanften Ermutigungen. Weiß Gott, er war das genaue Gegenteil von Oliver, den man kaum als aufbauend bezeichnen konnte und der in seinem ganzen Leben noch keine Selbstironie gezeigt hatte. Estelle erwiderte Wills Lächeln und nickte. Nie zuvor hatte sie ihr Gefühl der Unzulänglichkeit eingeräumt, keiner Menschenseele gegenüber.
»Viel besser. Sie werden doch Oliver gegenüber nichts erwähnen, oder?«
»Sie können mir vertrauen. Ich werde keine Silbe verraten«, versicherte Will tröstlich. Während er mit der feuchten Manschette seines Hemdes kämpfte, sprang ein Knopf ab und Will sah zu, wie der Knopf über den Boden rollte. Als er unter der Tiefkühltruhe verschwand, zuckte Will nur unbekümmert mit den Schultern. »Sie könnten es allerdings selbst einmal versuchen. Pflanzen Sie ihn auf einen Stuhl und sagen Sie ihm, wie Sie sich fühlen.«
Jetzt musste Estelle lächeln. »Wir werden sehen.« Die Chancen, dass sie mit Ziegelsteinen an den Beinen den Ärmelkanal durchschwamm, standen höher. »Jedenfalls vielen Dank. Unfassbar, dass ich Ihnen das alles erzählt habe.«
»Tja, so bin ich. Meinem Gesicht vertraut man sich gern an.« Will legte den Kopf schräg, als er hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. »Kate ist zurück. Ich denke, ich sollte mich jetzt auf den Weg machen.« Er ging zur Tür.
Zurück in der Küche sah Kate erst ihre Mutter aus schmalen Augen an, dann die fast leere Weinflasche. »Was ist hier los?«
»Nichts. Will hat mir beim Abwasch geholfen. Er ist ein netter Mann, findest du nicht auch?« Das war für ihre Verhältnisse schon fast tollkühn. »So einfühlsam.«
Kates Augen wurden noch schmaler, als sie die rotgeränderten Augen ihrer Mutter sah.
»Hast du geweint?«
Einen kurzen Augenblick lang zögerte Estelle, fragte
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