Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
sie konnte nichts dagegen sagen. Sie konnte ihnen nicht erklären, warum sie wollte, dass er verschwand. Und sie konnte ihnen auch nicht erzählen, wie überaus gefährlich er war. Sie hatte einfach keine Wahl. Genau dieser Mangel an Alternativen, der Druck, mit den Elfen zurechtkommen zu müssen, gab ihr manchmal das Gefühl zu ersticken, so als laste diese Schweigepflicht wie ein schweres Gewicht auf ihr. Sie hasste das.
Nachdem ihre Freundinnen, diese Verräterinnen, ihn mit an den Tisch gebracht hatten, bemühte sie sich nach Kräften, ihn zu ignorieren. Es funktionierte – eine Zeit lang; aber er beobachtete sie weiterhin, richtete die meisten seiner Bemerkungen an sie und stellte ihr Fragen. Und dabei saß er ihr die ganze Zeit gegenüber und starrte sie mit diesen grünen Augen an, die nicht menschlich waren.
Schließlich zeigte er auf die verkochten grünen Bohnen und gab irgendeinen abfälligen Kommentar dazu ab. »Ach so? Die sind wohl nicht gut genug für einen wie dich, was?«, fuhr sie ihn an.
Wo ist meine Beherrschung? Ihre lebenslang eingeübte emotionale Selbstkontrolle schien immer mehr zu bröckeln, ihr zu entgleiten.
Er war beängstigend still. »Wie meinst du das?«
Eigentlich war ihr klar, dass sie einen Elfen nicht provozieren durfte, schon gar keinen Elfenkönig, aber sie plapperte weiter: »Du würdest staunen, was ich alles über dich weiß. Und weißt du was? Nichts davon beeindruckt mich im Geringsten.«
Da lachte er – fröhlich und unbeschwert, als hätte der Ärger, der in seinen Augen aufgeflackert war, nie existiert. »Dann werde ich mir mehr Mühe geben.«
Eine Vorahnung, eine plötzliche Sehnsucht, eine unbehagliche Mischung aus beidem ließ sie erschaudern. Es war schlimmer als der bloße Drang, ihn anzufassen, den sie vorher verspürt hatte: Es war dasselbe beunruhigende Durcheinander von Gefühlen, das sie bei ihrer ersten Begegnung im Comic-Laden empfunden hatte.
Leslie pfiff leise durch die Zähne. »Gib ihm doch wenigstens eine klitzekleine Chance, Ash.«
»Halt dich da raus, Les.« Ashlyn ballte ihre Hände unter dem Tisch zu Fäusten zusammen.
»PMS.« Rianne nickte. Dann tätschelte sie Keenans Hand und fügte hinzu: »Ignorier sie einfach, Schätzchen. Wir helfen dir schon, sie mürbezumachen.«
»Oh, ich verlass mich drauf, Rianne«, murmelte Keenan. Er leuchtete, während er sprach – so als strahlte unter seiner Haut ein helles Licht.
Ashlyn roch den schweren Rosenduft in der Luft, spürte die allzu verführerische Wärme, die von ihm ausging.
Ihre Freundinnen starrten ihn an, als wäre er das Wundervollste, was sie je zu Gesicht bekommen hatten. Ich sitze so was von in der Scheiße.
Ashlyn schwieg, bis es Zeit wurde, in den Nachmittagsunterricht zu gehen, und grub mit ihren Fingernägeln kleine Halbkreise – wie winzige Sonnen – in ihre Handflächen. Sie waren kaum sichtbar auf ihrer Haut; sie konzentrierte sich auf den Schmerz, den diese Sonnen ihr bereiteten, und fragte sich, ob sie überhaupt eine Chance hatte, Keenans Aufmerksamkeit zu entkommen.
Am Ende des Tages hielt Ashlyn Keenans Anwesenheit kaum noch aus. Wenn er in ihrer Nähe war, schien eine seltsame Wärme die Luft zu erfüllen, und kurz darauf überfiel sie ein fast schmerzhaft intensiver Drang, ihn zu berühren. Ihr Verstand sagte ihr, dass sie dem widerstehen musste, aber ihre Augen wollten sich langsam schließen; ihre Hände wollten sich ihm entgegenstrecken.
Ich brauche eine Auszeit .
Sie hatte gelernt, damit umzugehen, dass sie die Elfen sah. Es war schrecklich, aber sie konnte es. Und auch das hier würde sie in den Griff kriegen.
Er ist bloß ein weiterer Elf.
Sie sammelte sich und wiederholte dabei im Geiste die Regeln und Warnungen wie ein Gebet, eine Litanei, die ihr half, konzentriert zu bleiben. Du darfst sie nicht anschauen, nicht ansprechen, nicht anfassen. Sie holte ein paarmal tief Luft, um sich beruhigen. Du darfst nicht weglaufen, nicht reagieren, nicht zeigen, dass du sie siehst. Du darfst nicht ihre Aufmerksamkeit erregen. Die vertrauten Worte halfen, ihr Verlangen zu unterdrücken, aber das reichte nicht aus, um in seiner Nähe auch nur annähernd entspannt zu sein.
Als sie den Raum betraten, in dem ihr Literaturunterricht stattfand, und eine der Cheerleaderinnen ihm einen leeren Platz anbot – einen Platz, der herrlich weit von ihrem entfernt war –, schenkte Ashlyn ihr ein breites Lächeln. »Dafür könnte ich dich küssen. Danke.«
Keenan zuckte
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