Sommerliebe
müßte er das jetzt auch sagen, aber wenn er das nicht macht, werde ich ihn auch nicht dazu nötigen, sein Geheimnis preiszugeben.
»Rolf«, erklärte Heinz, »ist jedenfalls als Arzt nicht der Typ, den Sie geschildert haben.«
»Sonst wäre er auch nicht Ihr Freund«, sagte sie und sah ihn nett an.
»Danke, Ilse.«
»Bitte.«
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Natürlich.«
»Welchen Typ sehen Sie in … Werner?«
Das hatte sie nicht erwartet. Trotzdem zögerte sie nicht zu antworten: »Wenn er intelligenter wäre, würde ich sagen, einen Dozenten der Medizin.«
Sein Herz tat einen Sprung. Diese Hürde – wenn es je eine war – wäre also genommen, dachte er.
Ilse tanzte leicht wie eine Feder. Heinz hielt sie im Arm und spürte sie kaum, und dennoch war die Fühlungnahme so, daß ihm das Feuer seines Begehrens durch die Adern strömte. Ilse war mittelgroß und schlank, aber dort, wo Rundungen erwünscht waren, zeigten sie sich in Vollendung. Sie besaß lange, phantastische Beine, an denen sich Heinz nicht satt sehen konnte. In ihrem schmalen Gesicht fielen am meisten die Augen auf, die am Tag braun waren und des Abends richtig schwarz sein konnten. Die Nase war klein, ihr Rücken gerade. Die vollen roten Lippen lockten unaufhörlich, aber sie schienen eine Region zu sein, die sich keinem erschloß. Über den ganzen Körper, besonders das Gesicht, spannte sich eine makellose Haut, die den Eindruck absoluter Lieblichkeit noch unterstrich.
Ich liebe sie, dachte Heinz, als der Tanz sich seinem Ende zuneigte, ich weiß jetzt erst, was Liebe ist.
»Ilse«, sagte er.
»Ja?«
»Ich wäre gerne Arzt.«
»Wie bitte?«
»Ja, ich wäre gerne Arzt.«
»Das sagen Sie mir?«
»Dieser Beruf hat Aussichten.«
»Andere Berufe haben die auch.«
»Der meine nicht. Der hat nur Unsicherheiten.«
»Sind Sie Rennfahrer?« witzelte sie.
Jetzt muß es kommen, dachte sie.
»Schriftsteller.«
Die Musik verklang.
Eine Gesangsnummer wurde angekündigt. »Bellinda Borantes«, hieß es, »bringt Ihnen das Lied ›Wenn die Sonne hinter den Bergen versinkt, bin ich mit meiner Sehnsucht allein …‹«
»Was schreiben Sie?« fragte Ilse, als sie mit Heinz von der Tanzfläche herunterging. »Gedichte oder Prosa?«
»Vorläufig versuche ich mich noch in beidem. Für was ich mich schließlich entscheiden werde, weiß ich noch nicht.«
»Wurde schon etwas veröffentlicht von Ihnen?«
»Ein paar kleine Sachen. Der Durchbruch«, sagte Heinz mit deutlicher Selbstironie, »liegt noch vor mir.«
»Sie werden ihn schaffen.« Davon schien Ilse Bergmann überzeugt zu sein, denn sie setzte hinzu: »Dessen bin ich sicher.«
An diesem Abend wurde es noch recht turbulent. Edgar und Werner waren verärgert und betranken sich in einem Maße, das ihnen Schimpf und Schande einbrachte. Zuerst erfuhren sie von Inge und Ilse einen sich steigernden Tadel, der schließlich darin gipfelte, daß die Mädchen ihren Tisch verließen und sich zu Heinz und Rolf setzten. Das war möglich, weil das schwedische Ehepaar schon vorher den Weg ins Bett angetreten hatte. Und zuletzt wurden die beiden vom Geschäftsführer des Saales verwiesen, da Edgar lauthals eine Schlägerei mit Rolf angekündigt hatte. Erst die Drohung mit der Polizei veranlaßte sie, der Aufforderung des Geschäftsführers Folge zu leisten. An der Tür drehte sich Edgar noch einmal um, schüttelte die Faust und rief quer durch den ganzen Saal Rolf zu: »Dich kriege ich noch, du lächerlicher Quacksalber!«
Rolf beherrschte sich unmenschlich, um nicht aufzuspringen und dem Krakeeler nachzueilen. Er knirschte mit den Zähnen und murmelte: »Wenn ich den morgen am Strand erwische, werfe ich ihn ins Meer.«
Der Abend war jedenfalls rettungslos verdorben. Ilse und Inge wären am liebsten im Boden versunken. Es war ein Skandal. Alle Leute schauten her zu ihnen und wetteiferten im Naserümpfen über die Unschuldigen.
»Ich möchte gehen«, sagte Ilse.
»Ich auch«, schloß sich Inge an.
Daraufhin preßte Rolf noch einmal zwischen den Zähnen hervor: »Wenn ich den morgen erwische …«
So lange mußte er aber gar nicht warten.
Draußen vor dem Hotel standen einige Taxis.
»Wir fahren«, sagte Rolf ohne Rücksicht auf eine drohende Zerrüttung seiner Finanzen, die ohnehin dürftig genug waren.
»Nein«, erklärte Inge und Ilse wie aus einem Munde.
Sie wichen nicht davon ab, zu Fuß nach Heringsdorf laufen zu wollen. Sie könnten sich momentan nichts Schöneres vorstellen als diesen
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