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Sommernachtsschrei

Sommernachtsschrei

Titel: Sommernachtsschrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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geliebt. Es war alles nur eine abgedroschene Lüge.
    »Ich sollte mich stellen.«
    »Bist du verrückt!«, braust Leonie auf. »Willst du dein Leben wegwerfen? Die U-Haft war doch schon die Hölle, oder?«
    Ich nicke. Ja, das war sie.
    »Du wirst sehen«, sie streichelt mir beruhigend über die Schulter, »es wird alles gut. Keine Panik.«
    Tatsächlich überlege ich eine Sekunde, dazubleiben, doch dann steht meine Entscheidung fest. Ich fahre zurück, und zwar nicht erst morgen, sondern heute noch. Ich lasse mich noch einmal in die Klinik einweisen. So, Dr. Pohlmann, ich bin wieder da, denn ich habe mich erinnert.
    »Weißt du, wann ein Zug zurück nach Köln fährt?«, frage ich.
    »Ziska, überleg es dir!«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Na gut«, seufzt sie. »Ich seh im Internet nach. Im Wohnzimmer haben wir einen schnelleren Computer.«
    Sie geht und ich bin allein.
    Im Türspalt erscheint ein blasses Gesicht. Eine blonde Haarsträhne hängt in der Stirn. Nadia. Sie ist das Negativ – oder Positiv – wie man es sehen mag – von ihrer Schwester.
    Mit ihrem schwarzen Top und den schwarzen Jeans sieht sie aus wie der Tod, der mich holen kommt, denke ich.
    »Du bist ja ganz schön bescheuert, dich so zu besaufen«, sagt sie und lehnt sich mit verschränkten Armen an die Wand neben der Tür.
    »Halt dich da raus, ja, das geht dich überhaupt nichts an«, erwidere ich. Was nimmt sich diese blöde kleine Selbstmörderin eigentlich heraus? Sie hat größere Augen als ihre Schwester und einen herzförmigen Mund, bestimmt laufen ihr alle Typen in der Schule hinterher.
    »Kann sein!«, sagt sie schulterzuckend und kaut demonstrativ laut auf ihrem Kaugummi herum. »Warum bist du überhaupt zurückgekommen?«
    »Was geht dich das an?«
    Sie zögert. Hab ich sie etwa schon eingeschüchtert?
    »Du glaubst, du warst es nicht, stimmt’s?«, sagt sie und ihre Stimme klingt nicht mehr ganz so forsch.
    Ich sage ihr nichts von der Postkarte, die da zerrissen vor mir liegt. »Deswegen bin ich entlassen worden, falls du es nicht mitbekommen haben solltest: Es gibt keine ausreichenden Beweise.«
    »Du weißt, dass das nichts heißt.«
    »Wie meinst du das?«
    Sie starrt mich an, sagt dann langsam: »Man kann trotzdem schuld sein. Oder umgekehrt.«
    »Wie?« Ich frage mich, warum wir dieses dumme Gespräch führen.
    Nadia schiebt wieder den Kaugummi im Mund herum, eher verlegen als lässig, und sagt: »Schuld sein, ohne dass es Beweise gibt.«
    »Was willst du eigentlich von mir?«
    Nadia sieht mich weiter an mit diesem erschreckten Blick, als wäre ich vom Mond. »Und wenn sie dich nicht entlassen hätten? Wie viele Jahre hättest du gekriegt?«
    »Hör auf damit!« Daran will ich nicht denken. Niemals!
    Ihre Arme klammern sich an sich selbst fest. »Stimmt es, dass man nur einmal in der Woche fernsehen darf?«
    Ich antworte nicht, will nicht mehr erinnert werden an die Samstagabende im Fernsehraum. Wenn der Fernseher dann wieder ausgeschaltet wurde, fühlte man sich noch einsamer und verlorener.
    »Und Computer?«, fragt sie weiter.
    »Gibt’s keine.«
    Nadias Augen haben etwas Totes, finde ich. Wie tiefe Abgründe, in die alles hineinfällt und nichts je wieder herauskommt. Waren die schon immer so?
    »Es tut mir leid«, sagt sie leise.
    »Was?«
    Sie zögert, betrachtet ihre Fingernägel, sieht dann auf. »Damit du’s weißt: Leonie ist krank.«
    »Wie? Krank?« Gehirntumor, Krebs – spulen sich diese furchtbaren Wörter in meinem Kopf ab.
    Nadia schiebt ihren Kaugummi zweimal im Mund herum, tippt sich dann an die Schläfe. »Dadrin.«
    »Ach ja?« Ich versuche, mir meine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Diese blöde Schwesternfeindschaft! Ich bin froh, dass ich keine Schwester habe.
    »Ja! Es merkt nur keiner.« Auf einmal ist sie wieder so, wie ich sie kenne. Frech und patzig.
    »Klar. Aber du! Und du, was bist du?« Ich bin gemein, denke ich noch, doch da ist es schon gesagt.
    »Kannst glauben, was du willst«, sagt sie und bläst eine Kaugummiblase und lässt sie platzen. »Ist mir egal.«
    »Und was stehst du dann hier rum und verpestest meine Luft?«
    »Uh, was für ein cooler Spruch, könnte glatt von meiner Oma sein.«
    »Du bist ziemlich unverschämt, hat dir das mal jemand gesagt?«
    »Klar, jeden Tag.«
    »Ich geb’s auf. Gegen so eine Giftspritze wie dich hab ich keine Chance. Aber bitte lass mich wenigstens in Ruhe.«
    Lässiges Schulterzucken. »Du solltest echt abreisen.«
    »Ach, und wieso?«
    Sie hebt

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