Sommernachtsschrei
Zweifel in mir die Oberhand. »Ich muss jetzt gehen«, sage ich schließlich.
»Wohin?«
»Hast du doch dadrin gelesen!« Ich rolle die Zeitung, die ich noch immer in der Hand halte, wieder zusammen und strecke sie ihm entgegen. »Diese Nacht jährt sich die Tat. Und den Täter zieht es immer wieder zurück zum Tatort.«
Ich gehe einfach an ihm vorbei.
»He, Franziska, jetzt warte doch mal!«
Er soll mich endlich in Ruhe lassen. Ich will nicht in sein Gesicht sehen müssen, wenn mir klar geworden ist, wie ich mit dem Ruder ausgeholt und Maurice erschlagen habe.
»Das ist doch nur, was die Presse schreibt!«
Abrupt drehe ich mich um. »Ach ja? Nein, das ist, was alle denken! Und jetzt lass mich endlich in Ruhe!«
»Nein!«
»Doch! Hau ab! Du bist doch sowieso nur hinter einer tollen Story her: Freigelassene Mörderin kehrt an den Tatort zurück. Eine Superstory und du kriegst eine feste Anstellung!« Ich balle die Fäuste; falls er näher kommt, werde ich mich wehren. Er weiß nicht, wie viel Überwindung es mich kostet, ihn wegzuschicken.
»Franziska, Kommissar Winter ist mit Renate Amberger verheiratet. Ihre Familie stammt aus Prien. Sie hat mehrere Grundstücke geerbt, die beiden sind im hiesigen Rotary Club. Winter mischt hier mit! Er hat Interessen hier! Kein Wunder, dass er die Ermittlungen so schlampig geführt hat! Franziska!«
Ich will das alles nicht mehr hören. Ich laufe los, weiter und immer weiter die Straße hinunter, renne schließlich, so schnell ich kann, und biege in die erste Querstraße ein. Erst da bleibe ich stehen. Drücke meine Stirn gegen den rauen Verputz einer Hauswand. Ich will heulen, schreien, meinen Kopf so lange gegen die Mauer schlagen, bis ich nicht mehr denken kann. Es ist alles zu viel!
Doch ich stehe nur da und spüre, wie meine Stirnhaut langsam taub wird.
28
Vergangenheit
Die Party fand in Leonies Haus statt. Ihr Dad hatte mal wieder einen Architekturpreis gewonnen. Kinding sollte eine Wellness-Oase bekommen, eine Pool-Landschaft mit Sauna, Kletterwand und Bar.
Leonie war ganz aufgeregt, als sie auf dem Schulhof davon erzählte. Und wie stolz sie war! »Am Samstag findet bei uns eine große Party statt. Na ja, eher was Steiferes. Aber hört zu: Mein Dad will, dass wir auftreten!«
»Bei euch zu Hause?«, fragte ich nach. Bisher hatte ich nur Mayas Mutter kennengelernt, weil sie uns alle mal mit dem Auto abgeholt hat, nach dem ersten Auftritt beim Basketballturnier in Prien.
»Ja! In unserem Garten! Ist doch super!«
Vivian verzog das Gesicht. »Da sind doch sicher diese ganzen Rotary- Typen da, oder?«
Leonie machte große, erstaunte Augen. »Was hast du denn gegen die? Deine Eltern sind da doch auch dabei. Und die von Maya auch.«
Vivian zuckte die Schultern. »Eben. Was sollen wir denn da?«
»Wir sollen unsere Freunde mitbringen! Vivian-Darling!«
Ich hatte keinen Freund. Ganz im Gegensatz zu Maya, die mit Zacharias ging, und Vivian, die die meiste Zeit mit Don rumhing, oder Leonie, die sich nicht zwischen Ike und Hendrik entscheiden konnte. Ich dachte an Maurice, aber ich hätte es nie gewagt, ihn anzusprechen.
»Und wer sind diese… Rotary- Typen?«, wagte ich zu fragen.
Die drei tauschten Blicke und mir wurde bewusst, dass ich wohl eine ziemlich dumme Frage gestellt hatte.
Leonie blies sich eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn, Maya legte den Kopf schief und schließlich antwortete Vivian. Sie klang ziemlich gelangweilt. »Die meisten unserer Eltern sind bei denen dabei. Sie treffen sich, sammeln Geld, organisieren Wohltätigkeitsfeste, sie haben zum Beispiel die Rallye letzten Monat veranstaltet, zugunsten der Kinderkrebsforschung…« Sie zuckte die Schultern, während Maya und Leonie zustimmend nickten.
Ich dachte an meinen Vater, der sicher gern bei so etwas mithelfen würde. Außerdem würden meine Eltern dann neue Leute kennenlernen.
»He, da könnten meine Eltern doch auch…«, fing ich an.
Da lächelten sie komisch und Maya sagte: »Na ja, da kommt nicht jeder rein, man muss schon…«
Wir wurden von der Schulklingel unterbrochen. Aber auch ohne dass Maya zu Ende gesprochen hatte, war mir klar, was sie sagen wollte. Meine Eltern gehörten einfach nicht dazu.
»Meinst du nicht, du solltest dich ein bisschen netter anziehen?«, fragte meine Mutter, als ich aus meinem Zimmer in die Küche kam, wo sie gerade Salat putzte. Ich sah an mir herunter. Ich hatte meine engen schwarzen Jeans und eine ausgeschnittene Bluse angezogen. Ziemlich
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