Sommernachtszauber
Glückspilz, dachte Sukie.
Sie gingen zum nächsten Gebäude hinüber. Der Kies knirschte unter ihren Füßen, die Sonne schien immer wärmer, und der wolkenlose Himmel leuchtete in einem herrlichen hellen Blau. Ein sanfter Freudenschauer überlief Sukie. Sie fühlte sich wie am Meer.
»Hier drin«, sagte Derry und trat am Eingang des Ausstellungsraums beiseite, um ihr den Vortritt zu lassen, »habe ich Bilder und Fotos von allen Sachen, die wir hergestellt haben, Materialproben verschiedener Hölzer, Modelle von Möbelstücken und natürlich die Gesellenstücke.«
»Was bitte?«
»Gesellenstücke«, sagte er. »Nein, da werden nicht etwa abgetrennte Körperteile der Handwerksgesellen ausgestellt. Ich glaube, es gilt heutzutage als altmodisch, aber ich lasse immer noch jeden Lehrling zum Abschluss der Ausbildung ein Gesellenstück anfertigen, denn dabei lernt man am meisten. Es sind kleine Möbelstücke oder Kästchen oder Treppen – jede Kunstfertigkeit im Holzhandwerk erfordert Übung. Aber die Gesellenstücke eignen sich auch gut, um potenziellen Kunden einen Eindruck von unserem Tätigkeitsspektrum zu vermitteln.«
Sukie wanderte durch den Ausstellungsraum, erschnupperte noch immer Sägespäne und den herrlich natürlichen Duft von Harz und frisch geschnittenem Holz und bewunderte die schöne Maserung, die Farben und die Oberflächenbeschaffenheit der exquisiten Handwerksarbeiten.
»Toll!« Sie betrachtete die an der Wand aufgereihten Fotos. »Das ist wirklich überwältigend. Hast du das alles selbst gemacht?«
»With a little help from my friends.« Derry stand schon wieder viel zu dicht neben ihr. »Ja. Die meisten Entwürfe stammen von mir, aber ich bin immer auch offen für Vorschläge meiner Kunden – die meisten wissen mehr oder weniger, was sie wollen. Ich berate sie nur und setze ihre Ideen so um, dass das Ergebnis dann hoffentlich beiden Seiten gefällt.«
»Du bist genial.« Sukie schüttelte den Kopf. »Weißt du, ich hatte ja keine Vorstellung … entschuldige, aber ich dachte, du arbeitest auf Baustellen und nagelst Bretter zu Türrahmen zusammen oder stellst Dachbalken auf oder so ähnlich.«
»Ach, so was mache ich auch«, meinte Derry vergnügt. »Mir ist kein Auftrag zu groß oder zu klein. Es macht mir einfach Freude, mit Holz zu arbeiten und etwas zu erschaffen.«
»Eigentlich dachte ich, über dem Eingang der Werkstatt hinge ein Schild mit der Aufschrift ›Gegründet achtzehnhundertvier‹ oder so.« Sukie rückte ein klein wenig von ihm ab, weil sie fürchtete, das wilde Herzklopfen unter ihrem T-Shirt könnte laut zu hören sein. »Aber das ist alles dein Werk, nicht wahr? Du hast die Firma nicht geerbt?«
»Alles mein Werk. Die Gründung war ziemlich gewagt, und anfangs sind wir hart am Wind gesegelt.« Derry fuhr mit seinen feingliedrigen Fingern liebevoll über einen kleinen Tisch mit einem gitterartigen Furnier aus verschiedenen Hölzern. »Als ich anfing, haben die meisten Leute eher kleine Unternehmen für neue Technologien und Computer gegründet – der sichere Weg ins neue Jahrhundert. Mein Bankberater hätte fast einen Herzanfall bekommen, als ich eine Firma gründen wollte, die auf mehr als tausend Jahre alte traditionelle Handwerkskunst baut.«
»Aber er hat an dich geglaubt und dich letztendlich unterstützt?«
»Letztendlich ja. Mit unzähligen Rücktrittsklauseln für die Bank und schrecklichen Drohungen, was geschehen würde, falls ich scheitere. Die ersten paar Jahre haben wir überhaupt keinen Gewinn gemacht und konnten nur gerade so unsere Unkosten decken. Aber dann wuchs unser Kundenkreis durch Mundpropaganda immer weiter an … und inzwischen«, er lächelte, »schickt mir mein Bankberater Weihnachtskarten und lädt mich zu seinen Partys ein.«
»Ist ja großartig«, lachte Sukie. »In gewisser Weise arbeiten wir beide mit uralten Künsten.«
Er nickte und strich sich das Haar mit dieser beiläufigen Geste aus der Stirn, die sie bereits in ihren Träumen verfolgte. »Ja, ich finde auch, wir haben vieles gemeinsam. Wir arbeiten mit den Händen, haben engen Kontakt zu unseren Kunden und wirken schöpferisch mit den Gaben der Natur.«
Sie sahen einander ein bisschen zu lange in die Augen.
»Äh …« Sukie schluckte. »Milla ist von alldem sicher total begeistert.«
»Milla war noch nie hier. Ist nicht ihr Ding. Interessiert sie nicht sonderlich. Genauso wenig, wie ich mich für Management und Unternehmenspolitik interessiere.«
»Trotzdem«, sagte
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